Die Perspektiven für die Rückrunde

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Noch schwelgen die Fans der FC Barcelona in Erinnerungen. Der Sieg in der Supercopa und im Liga-Clasico sowie der Triumph bei der Klub-WM haben für nachhaltige Freude gesorgt und nähren die Hoffnung auf eine titelreiche Rückrunde.

Auch Dani Alves nimmt den Hinrundenverlauf zum Anlass, seinen Standpunkt im Hinblick auf den Ausgang der Meisterschaft zu unterfüttern. Vollmundig und ohne Rücksicht auf das Seelenleben der Madrilenen kündigte er bereits jetzt den Gewinn der Meisterschaft an und berief sich dabei auf die grundsätzliche Überlegenheit seiner Mannschaft. Diese aggressiven Äußerungen dürften nicht gerade zur Entlastung des spannungsgeladenen Verhältnisses zwischen den Protagonisten des Clasico beitragen. Alves ist wahrlich kein Meister der Deeskalation. Aber dieses offensive Auftreten widerspricht selbst seiner menschlichen Natur. Es stellt sich die Frage, woher diese große Zuversicht kommt und ob sie begründet ist. Man kann zwar nicht in die Zukunft blicken, aber die Vergangenheit gewichten und versuchen, aus ihr dezente Rückschlüsse für den Verlauf der Rückrunde abzuleiten. Begeben wir uns daher auf eine kurze Zeitreise und lassen die Ereignisse und die Erkenntnisse aus der Hinrunde für sich sprechen.

Titel als Klammer für die Hinrunde

Die Hinrunde endete so, wie sie begonnen hat, nämlich mit einem weiteren Titel für den FC Barcelona. Der Gewinn der Supercopa und der Klub-WM sind mit Gewissheit nicht die wichtigsten Errungenschaften des FC Barcelona. Aber es sind Wettbewerbe, für die man sich mit hochrangigen nationalen und internationalen Siegen erst qualifizieren muss und die daher mit einer hohen Wertschätzung belegt werden. Wertsteigernd dürfte sich in der Supercopa der Umstand ausgewirkt haben, dass die Veranstaltung den Rahmen für zwei Clasico gebildet hat. Mit einem 2:2 in Madrid und einem 3:2 im Camp Nou sicherten sich die Katalanen die Trophäe und haben damit einen prima Einstand in die neue Saison feiern können. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, kamen die Leistungsträger doch gerade erst aus dem Urlaub mit viel Trainingsrückstand im Gepäck zurück. Der Sieg bei der Klub-WM in Japan hingegen war von vornherein ein offenes Geheimnis. Mit wenig Mühe wurden nacheinander die Teilnehmer aus Saudi-Arabien und aus Brasilien mit 4:0 abgefertigt. Nebenbei wurde auch noch der Uefa-Supercup gegen Porto mit 2:0 gewonnen, der zwischen dem Sieger der Champions League und der Europa League ausgetragen wird.

Rückstand in der Meisterschaft

So erfreulich sich diese Siege sind, bilden sie leider nur eine Seite der Medaille. Die Meisterschaft verlief keinesfalls so reibungslos, wie die Titelsammlung es suggeriert. Bereits der Blick auf die Ligatabelle verrät den FC Barcelona. Die Katalanen werden die Rückrunde mit einer Hypothek von drei Punkten beginnen müssen. Die Mannschaft aus Madrid hat eine insgesamt stabilere Hinrunde gespielt und steht verdientermaßen auf Sonnenplatz der Ligatabelle. Vier unentschieden und eine Niederlage sind einfach zwei Aussetzer zu viel für die gefestigten Madrilenen. Auch wenn das Zustandekommen dieser suboptimalen Ergebnisse zum Teil sehr unglücklich war, kann man sich als Spieler nicht ausschließlich auf höhere Mächte berufen. Das Team konnte in diesen Spielen nicht mal im Ansatz ihr Potenzial abrufen. Es wirkte müde und träge und war kaum in der Lage, sich Torchancen zu erspielen. Möglicherweise hing dies auch damit zusammen, dass die Gegner in den entsprechenden Spielen nicht gewillt waren, am Spiel teilzunehmen, sondern im Gegenteil die Katalanen am Spiel zu hindern. Es muss für die Spieler sehr demoralisierend gewesen sein, gegen eine vor den Strafraum gezogene Wand aus 10 Spielern anzulaufen. Die Lust am Fußballspiel vergeht und führt nicht gerade zur Entfesselung tiefgründiger Fähigkeiten. Dies kann aber nur bedingt als Erklärung für die Schwächeperiode herhalten. Guardiola hätte den Spielern mehr strategische Fertigkeiten im Umgang mit solchen Situationen vermitteln müssen. Die Spieler des FC Barcelona versetzen sich selbst in diese Lage, wenn sie dann noch starkes Pressing ausüben. Effektiver und zielführender wäre es hierbei mit Sicherheit, den Gegner kommen zu lassen und erst ab der Mittellinie zu attackieren. So würden sich die erforderlichen Lücken herausbilden, in die man hineinstechen könnte. Ein weiterer Aspekt ist sicherlich die Motivation. Es ist nicht leicht, Spieler zu motivieren, die auf Vereinsebene schon alles erreicht haben. Die Mannschaft muss sich neue Ziele stecken. Es reicht dabei nicht aus, wenn sie sich der Ziele nur verbal entäußern, ohne sie ehrlich und aufrichtig verinnerlicht haben. Es ist vor allem vom Trainer abhängig, wie weit und wie schnell dieser Verinnerlichungsprozess voranschreitet. Der Erfolg in der Rückrunde wird also maßgeblich beeinflusst werden durch die strategische Grundausstattung der Mannschaft und ihre Bereitschaft, alles, wirklich alles für den Erfolg der Mannschaft zu tun. Das Auftreten des FC Barcelona in den letzten Spielen der Hinrunde hat eine andere Körpersprache offenbart, die wieder Entschlossenheit und den unbedingten Willen zum Ausdruck brachte. Jetzt fehlt nur noch das Rezept für die spielfaulen Gegner.

Champions League ein Selbstläufer

Weniger problematisch war der Lauf der Dinge in der Champions League. Die Katalanen sicherten sich mit einem großen Vorsprung den wichtigen ersten Tabellenplatz. Mit Viktoria Plzen und Borisov in der Gruppe bestanden aber keinerlei Zweifel über das Weiterkommen in der CL. Interessanter war in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit dem AC Milan. Ein Unentschieden und ein Sieg in der Ferne sicherten den ersten Rang in der Tabelle ab. Das Rückspiel in Mailand war dabei ein echter Leckerbissen, der die Zuschauer mit vielen Toren und sehr schönen Spielszenen verzückte. Der AC Milan hat den FC Barcelona herausgefordert, und letzterer hat die Muskeln spielen lassen. Endlich einmal ein Gegner, werden sich die Spieler des FC Barcelona gedacht haben, der sich nicht vor dem Strafraum einigelt und auf seine Stärken vertraut. Das Spiel war eine gute Übung mit Blick auf das Clasico, denn der Spielrythmus unterschied sich grundlegend  von den zuvor absolvierten Partien. Im Achtelfinale wartet nun mit Bayer Leverkusen ein deutscher Vertreter auf die Auswahl aus Barcelona. Es steht nicht zu erwarten, dass Leverkusen über die Mittel verfügt, um dem FC Barcelona gefährlich werden zu können. Trotzdem ist Vorsicht geboten, zeichnen sich deutsche Mannschaften doch für gewöhnlich durch ihren ungebrochenen Kampfgeist aus. Das Spiel wird sicherlich kein Spaziergang, man muss bestrebt sein, die Entscheidung bereits in Leverkusen zu suchen. Um man muss sich bewusst sein, dass man auf einen Gegner trifft, der bereit ist, das Spiel seines Lebens darzubieten, auch wenn die Leistungen in der heimischen Liga zu wünschen übrig lassen. Letztlich handelt es sich bei Leverkusen aber um ein glückliches Los. Bei einem Sieg in Leverkusen könnten die Katalanen im Rückspiel wichtige Ressourcen schonen, die händeringend in der Schlussphase einer Saison erforderlich sind und den Unterschied ausmachen können.

Die Integration neuer Spieler

Die voranstehenden Erfolge und Misserfolge ruhten zum ersten Mal nicht auf den Schultern von etwas mehr als einem Dutzend Spielern. Im Vergleich zur Vorsaison hat Guardiola verstärkt auf die Spielerrotation gesetzt und so sehr vielen Spielern die Möglichkeit gegeben, sich auszuzeichnen. Ob diese Vorgehensweise in diesem Ausmaß empfehlenswert ist, sei dahingestellt. Sie führte zumindest dazu, dass der FC Barcelona nun über ein breiteres Spielerfeld verfügt, was die Leistungsträger vor wichtigen Spielen und auch zwischendurch bei Bedarf entlastet und somit auch Verletzungen vorbeugt. Darüber hinaus werden damit auch zukünftige Leistungsträger an das Team herangeführt. Damit sind die nachhaltige Entwicklung und der nachhaltige Erfolg der Mannschaft gewährleistet. Besonders erfreulich verlief die Integration bei den Neuzugängen Fabregas und Sanchez sowie bei dem Spieler Cuenca aus dem Jugendteam. Cesc Fabregas hatte keinerlei Anpassungsschwierigkeiten an die Spielart der Mannschaft und harmonierte auf Anhieb außerordentlich gut mit Lionel Messi. Man hat an seiner Körpersprache in den Spielen deutlich ablesen können, dass für ihn nun ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Er bereichert das Spiel der Katalanen mit einem starken Zug zum Tor, was für die Mittelfeldspieler der Mannschaft eher untypisch ist. Mit ihm ist der FC Barcelona noch unberechenbarer. Immer dann, wenn er aus der Tiefe in den Strafraum dringt, wird’s gefährlich. Sanchez‘ Hinrunde wurde getrübt durch eine langwierige Verletzung. In jenen Spielen, in denen er zum Einsatz kam, zeigte der Chilene sofort, dass er jeden Cent seiner Ablösesumme wert ist. Insbesondere die Clasico scheinen Sanchez viel Freude zu bereiten. Völlig unbeeindruckt von der angeheizten Atmosphäre drückte er jedem Spiel gegen Real Madrid seinen Stempel auf. Unvergessen das Hinspiel in der Supercopa, als Sanchez in der zweiten Halbzeit eingewechselt wurde und dem gestandenen Real-Verteidiger Pepe frech und ohne Respekt an der Grundlinie den Ball entwendete, und das – vom Schiedsrichter verkannt – mit fairen Mitteln. In den Vordergrund gespielt hat sich auch Cuenca durch seine Flügelläufe. Mit ihm wächst ein Flügelstürmer der Extraklasse heran, der bereits jetzt zum Leistungsträger avanciert. Nicht nur einmal hat er seinen Gegenspieler auf den Außen düpiert und den Spielball sodann gefährlich vor das Tor gebracht. Und nicht selten wurde dieser Einsatz mit einem Tor belohnt. Hinsichtlich aller drei Spieler gilt, dass davon auszugehen ist, dass dies nur der Anfang war. Cuenca hat die Spielart des Teams bereits sehr gut verinnerlicht, bei den käuflich erworbenen Neuzugängen besteht aber noch Verbesserungsbedarf. Sie müssen Nuancen im Spielaufbau noch besser verstehen und ihre individuellen Stärken noch mehr in die Mannschaft einbringen. Das geht selbstredend nicht von heute auf morgen, aber mit jedem Spiel und mit jeder Trainingseinheit wird ein Fortschritt zu erkennen sein. Man darf also bei diesen Spielern durchaus mit einer noch besseren Rückrunde rechnen. Insofern ist die Perspektive besser als in der Hinrunde. Darüber hinaus ist anzumerken, dass auch jene Spieler, die bereits seit mehr als einem Jahr in der Mannschaft sind, noch enger an sie herangerückt sind. Zu erwähnen sind vor allem Mascherano und Adriano, die einem umfangreichen Ausbildungsprozess unterzogen wurden und damit an Variabilität hinzugewonnen haben. Sie sind wichtige Bestandteile der Mannschaft geworden und mehr als nur Ersatzoptionen. Wenn sie spielen, zeigen sie ihre Klasse.

Eine vorsichtige Prognose

Soweit es also Guardiola gelingt, die Motivation aufrecht zu erhalten, die neuen Spieler noch besser in das Spiel einzubinden und dem Team neue strategische Konzepte an die Hand zu geben, wird die Rückrunde besser verlaufen als die Hinrunde. Natürlich gibt es noch andere Faktoren, die entscheidenden Einfluss ausüben werden und die der Trainer nicht alle steuern kann. Zu nennen wären diesbezüglich etwa die Gesundheit der Spieler oder das Glück. Der Ausfall von Villa für die Rückrunde wiegt schwer. Noch schwerer würde es den FC Barcelona treffen, wenn sich ein Iniesta oder ein Messi verletzen würden. Andere Erfolgsfaktoren hingegen stehen der Disposition durch Guardiola frei, wie z.B. die Aufstellung der Spieler. Es macht keinen Sinn, einen sichtbar übermüdeten Messi aufzustellen, nur weil dieser darauf beharrt, zu spielen. Guardiola hätte die Zeichen der Ermüdung bei Messi in der Hinrunde erkennen und kraft seines Amtes als Oberhaupt der Mannschaft eine Entscheidung zum Wohle der Mannschaft und zum Wohle des Spielers treffen müssen. Dass er dies nicht getan hat, zeugt von fehlender Autorität. Denn das Angebot, beim nächsten Spiel auszusetzen, ist mit Sicherheit gefallen. Es gibt also noch vieles, was in der Rückrunde besser laufen muss und auch verbessert werden kann. Der Fokus muss also weiterhin bei der harten Arbeit mit sich selbst liegen und nicht bei dem Rivalen aus Madrid, wie Alves zu meinen pflegt. Denn dieser wird seine Hausaufgaben erfüllen, hieran kann angesichts der phänomenalen Hinrunde kein Zweifel bestehen. Dass in diesem Rückblick der Sieg im Liga-Clasico ausgeblendet wurde, liegt daran, dass die Meisterschaft in diesen Spielen für gewöhnlich weder gewonnen noch verloren wird. Es ist aber bezeichnend, dass der FC Barcelona die Meisterschaft bei einer Niederlage und einem Rückstand von neun Punkten bereits hätte aus den Augen verlieren können. Dieses Spiel war sinnbildlich für die gesamte Hinrunde des FC Barcelona. Das Team stand am Abgrund, fand dann aber wieder zu sich und zu alter Stärke zurück. Man darf nicht noch einmal zulassen, in solch eine Lage zu gelangen, wenn man Titel erringen will. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussage von Alves nicht nachvollziehbar. Real Madrid ist ernst zu nehmen, sie sind bedrohlicher denn je. Es gilt, sich vor dem Clasico in eine günstige Ausgangslage zu bringen. Dies kann nur gelingen, wenn der FC Barcelona die angeklungenen Defizite beseitigt. Der Erfolg geht nur über Kontinuität und Souveränität. Leistungsspitzen in wichtigen Spielen sind natürlich auch wichtig. Wichtiger aber sind die „kleinen Spiele“, welche die Grundlage des Erfolgs in der Vergangenheit gewesen sind. Visca el Barça!


Raphael L.

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