Gastbeitrag: „Barça hat die eigenen Werte verloren“

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Jeder Fan hat seine eigene Verbindung zum Verein. Das gilt für jeden Verein der Welt. Umso mehr gilt dies auch für den FC Barcelona, der sich in einem ständigen Wandel befindet und fortwährend entwickelt. Ob sich diese Entwicklung in die falsche oder in die richtige Richtung vollzieht, bleibt jedem Fan selbst überlassen. Überaus dankbar sind wir aber jedem Culé und Leser, der uns seine Meinung mitteilt. Von dieser Möglichkeit machte erst kürzlich ein Leser namens Yannick gegenüber unserem Autor Felix Gebrauch, angeregt von einem medienkritischen Artikel unsererseits. Mit seiner Zustimmung veröffentlichen wir daher diesen äußerst lesenswerten Gastbeitrag. 

„Hallo Felix,

mit großer Begeisterung las ich Deinen neuerlichen Artikel, der diesen schier unbeschreiblich magischen Championsleague-Triumph Barças über PSG zum Anlass nahm, um einerseits Stolz und überbordende Freude auszudrücken, andererseits aber auch deutliche Kritik an allzu oberflächlicher und falscher Berichterstattung zu üben.

Als Barça-Fan durch und durch, der seit Jahren nahezu jedes Spiel der Blaugrana leidenschaftlich verfolgt und akribisch analysiert, erlebte ich den geschichtsträchtigen Abend des 08.03.2017. Er ist das seltene, aber hochverdiente Resultat einer wieder aufkeimenden Leidenschaft im Herzen der Mannschaft. Lange Zeit suchte man nach einem Impuls, der etwa aus Neymar wieder einen selbstbewussten Flügelstürmer machte, der die Mannschaft wachrüttelte und sie von ihrem Schönheitswahn in der eigenen Spielhälfte befreite. Auf eindrucksvolle Weise hat dieses Barça offenbart, dass es mit offensiver Einstellung, Pressing und Leidenschaft jeden Gegner in die Schranken zu zwingen vermag. Die Freude darüber ist auch bei mir grenzenlos.

Umso größer ist indes meine Ernüchterung darüber, dass Barça über Monate nicht nur sein prägendes Spielsystem, sondern auch die eigenen Werte verloren hat. Das betrifft die sportliche, aber untrennbar auch die politische Linie und Einstellung des Clubs. Zu häufig verfällt man in defensive und hochriskante Passstafetten vor dem eigenen Strafraum, die jedem Gegner offenkundig in die Hände spielen. Zu oft überlagert die nüchterne Ergebnisorientierung den eigentlich lebendigen Fußball der Mannschaft. Die letzten Spiele – symptomatischerweise gerade nach Bekanntgabe des Abgangs von Luis Enrique – ließen eine Trendwende vermuten und stimmten nach Monaten des Fußballs, wie ihn jeder x-beliebige Großclub spielen kann, versöhnlich.

Mir dienen die zuletzt errungenen Siege als Beleg dafür, dass Barça noch lebt. Gleichwohl sind Defizite offensichtlich, die diesen so besonderen Verein in die Charakterlosigkeit und Durchschnittlichkeit zu drängen drohen. Auch vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, den magischen Erfolg Barças nicht nur als Dominanzbeleg, sondern auch als Kontrastprogramm in Erinnerung zu halten.

Das Barça früherer Jahre zelebrierte Fußball, zwang dem Gegner das eigene Spiel auf, ohne ein ums andere Mal erfolglos auf die Offensivimpulse eines – leider – allzu fehleranfälligen Keepers zu vertrauen. „Mein“ Barca gab talentiertem Nachwuchs geduldig eine realistische Chance auf Entwicklung, statt wertvolle Eigengewächse vorschnell wegzugeben. Getreu der Einstellung Johan Cruyffs lautete die Frage nicht, wie das Ergebnis war, sondern wie die Mannschaften gespielt hatten. Leider rückt dieser Aspekt, diese Einstellung in Jugend und Herrenbereich scheinbar immer gravierender in den Hintergrund. Dabei drängt die Zeit, die prägende Philosophie auch an die nächste Generation weiterzugeben. Doch bei aller Liebe für den Verein: mein Vertrauen in eine Vereinsführung, die ohne erkennbare Scham größeren Wert auf Namen und Gewinnmaximierung als auf Charakter und Philosophie legt, ist deutlich geschmolzen.

Gleichwohl soll diese Kritik nicht meine Passion für Barça schmälern. Im Gegenteil. Diese Gesichtspunkte sind Resultat langjähriger Beobachtung mit dem Wunsch, aus Barça wieder eine Identifikationsfigur zu machen. Denn seien wir ehrlich: genau das macht die Abende wie den 08.03.2017 erst wirklich unvergesslich, einzigartig und geschichtsträchtig.

Und genau diese Selbstwahrnehmung, dieser leidenschaftliche, aber bodenständige Charakter der Mannschaft ist für mich gleichermaßen Reiz wie auch Forderung an Barça. Selbstverständlich schafft diese Sonderstellung auch unter anderen Clubs und Berichterstattern Neid und Missgunst. Nicht sachgerecht wäre, diese Attitüden ausschließlich und abschließend Real Madrid zuzuschieben. Gerade unsere deutschen Medien, aber – wie Du vollkommen zurecht monierst – auch die anderer Länder lassen jedweden Tiefgang in der sportlichen Analyse vermissen. Das gilt für andere Sportarten durchaus noch eher. Basketballergebnisse etwa werden medial allenfalls dann erwähnt, wenn ein deutscher Spieler mit seinem Team erfolgreich war, wobei siegreich dann nicht das Team, sondern der Deutsche war. Journalisten und Kommentatoren empfinden es als Selbstverständlichkeit, als Deutscher deutsche Mannschaften zu protegieren. Sogar mitunter unberechtigte Bevorzugungen werden gern hingenommen, allein mit dem Argument, dass es für die Entwicklung des deutschen Fußballs/Sports von Vorteil sei. Unsere Sportberichterstattung ist nicht nur oberflächlich in der Analyse (und versucht sich z.B. im Fußball mit einer fadenscheinigen Analyse der überspielten Gegner professionell zu geben), sie ist vielmehr auch nationalistisch geprägt. Daher verwundert einen die abermals unwürdige Berichterstattung zu Barças Spektakel auch nicht.

Kommentatoren, die Zeitlupe um Zeitlupe brauchen, um ein Foul zu analysieren, sind schlicht ungeeignet. Ihnen fehlt leider jegliches Bewegungssehen und letztlich auch die Erkenntnis, dass man Fouls und Spielsituationen oft nur im realen Bewegungsfluss beurteilen kann. Schwerer wiegt allerdings noch die fehlende Kompetenz (vielleicht auch der fehlende Wille), Fehlentscheidungen offen zu benennen und zu kritisieren. Ungerechtigkeiten werden zu oft klein geredet und allenfalls dann aufgebauscht, wenn es gelegen kommt. Wenn es etwa darum geht, anderen den Erfolg zu neiden: wie bei Barças grandiosem Erfolg über PSG. Man kann nun trefflich darüber streiten, ob Luis Suárez durch Foul zu Boden gegangen ist oder nicht. Aber unabhängig davon muss man freilich – wie du ganz zutreffend darlegst – im Gleichklang auch diskutieren, dass PSG das Spiel nicht zu elft hätte beenden dürfen. Der Schiedsrichter hat dieses Barça, das leider ein ums andere Mal eine härtere Gangart der Gegner zu bewältigen hat, keinesfalls bevorzugt. Doch das ist wieder einmal die allzu oberflächliche Essenz deutscher Journalisten, aber auch internationaler Stimmen. Es fehlt einfach und wie so häufig ein ganzheitlicher, ehrlicher Blick auf das Geschehen.

Dass man diesen respektvollen Blick von Spielern wie Sergio Ramos nicht erwarten kann, scheint offensichtlich. Was allerdings erstaunt und so manches Mal beschämt, ist, dass selbst Barça nicht die Initiative ergreift, um die Defizite der spanischen Liga offenzulegen. Die Verantwortlichen lassen einen Gerard Piqué, der als Einzelkämpfer immer wieder lautstark berechtigte Kritik übt, vollkommen alleine im Regen stehen. Selbst, wenn es um offensichtliche Ungerechtigkeiten geht, Bevorzugungen, die ein mittelmäßiges Real ein ums andere Mal protegieren, ermahnt man den eigenen Spieler (!) zur Zurückhaltung. Warum? Solange man Titel trotz dieser Missstände gewinnen kann, schweigt man lieber. Man verschweigt damit indes leider nicht nur die Miseren, sondern verleugnet zugleich den Spieler, die Identität und die politische Einstellung. Man schadet sich selbst nachhaltig.

Was ist etwa aus der Tatsache geworden, dass die Transfersperre für Real Madrid verkürzt wurde, für Barça nicht? Was ist aus dem Manipulationsskandal um Real Madrid geworden? Ein Barça, das aufrichtig ist und auch die eigenen Spieler und die katalanische Identität effektiv schützt, darf nicht zulassen, dass solche Umstände in der Versenkung verschwinden. Nicht, wenn Barça verliert, aber auch nicht, wenn es gewinnt. Ein Verständnis, dass Barças (gelehrte) Demut mit Verschwiegenheit über Ungerechtigkeiten verwechselt, ist mehr als falscher Stolz. Ungerechtigkeiten zu benennen, darf nicht von Sieg oder Niederlage abhängen. Sport ist leider nicht mehr nur Sport, es ist ein in höchstem Maße politisch und wirtschaftlich durchtriebenes Metier, in dem (gewollte und ungewollte) Missstände die Überhand gewinnen, sofern man sich ihnen nicht widersetzt.

In dieser Hinsicht bin ich sportlich wie charakterlich Perfektionist. Den Bereich des Sports durchziehen inzwischen derart viele Unzulänglichkeiten, dass Kritik allerorten angebracht ist. Und während sich unsere flachen Medien trostlos mit inkompetenter und falscher Darstellung blamieren, lassen sich die Verantwortlichen des FC Barcelona letztlich wehrlos darauf ein.

Es braucht Wortführer, die kritisch und offen diese Entwicklungen offen legen. Viele verkennen, dass diese Kritik nicht aus Abneigung gegenüber dem Sport, sondern gerade aus Liebe zu demselben geschieht.

In diesem Sinne, vielen Dank für den ehrlichen Artikel, der sicherlich auch immer nur einen kleinen Ausschnitt dieses vielschichtigen Geflechts darzustellen vermag.

Es lebe Barça.“

Gerne kann jeder einzelne Leser ebenfalls die Möglichkeit wahrnehmen, mit uns in Kontakt zu treten. Wir freuen uns darüber!

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