Spanien – Wo bleibt der Zauberfußball?

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Quelle: totalbarca

Der Kommentator des gestrigen Fußballspiels zwischen Spanien und Frankreich konnte sich den Vergleich zu Deutschland nicht verkneifen und frohlockte ob des zurückhaltenden Auftritts der Spanier im Hinblick auf ein mögliches Aufeinandertreffen im Finale. Mehmet Scholl hingegen war vorsichtiger in seiner Analyse und betonte, „ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss“. Wer von den beiden liegt näher an der Wahrheit?

Von Raphael Lugowski

Wenige Torchancen, Schwächen im Defensivverhalten

Das Spiel wahrlich keine Offenbarung an die Fußballfeinschmecker dieser Welt. Völlig unspektakulär und ungefährdet obsiegten die Spanier über die Franzosen und zogen verdientermaßen in das Halbfinale dieser EM ein. Doch selbst dem stumpfsinnigsten spanischen Fan dürfte die Darbietung am gestrigen Abend Unbehagen bereitet haben. Nimmt man die letzten beiden Spiele gegen Kroatien und gegen Frankreich zum Maßstab, scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein von der Klasse vergangener Tage. So zumindest würde der Kommentator vom öffentlich-rechtlichen Sender argumentieren. In diesem Sinne hat er sich am gestrigen Abend eingelassen. Gleichwohl muss man aber auch bedenken, dass die Spanier auch bei der WM 2012 nicht unbedingt in jedem Spiel ein Feuerwerk abgebrannt haben und erst im Halbfinal-Spiel gegen Deutschland eine deutliche Leistungssteigerung zu konstatieren war. Ob die EM einen analogen Verlauf nimmt, bleibt abzuwarten. Fest steht aber, dass durchschnittliche Spiele kaum dem Anspruch der Spieler genügen dürften. Gegen Kroatien hatte man sogar Glück, der Viertelfinaleinzug stand auf der Kippe. Planmäßig ist es nicht, in der Offensive wenige Torchancen zu kreieren und im Defensivverhalten Schwächen zu zeigen.

Enge Fünferkette Rezept gegen Spanien?

Es drängt sich die Frage nach dem Grund für die zwar vernünftigen und überlegenen, aber hinsichtlich des spielerischen Glanzes und der Offensivpower dürftigen Vorstellungen der Spanier auf. Bei der Beantwortung dieser Frage gilt ein besonderes Augenmerk der taktischen Ausrichtung der Mannschaft und des Gegners. Die Kroaten und die Franzosen wählten beide ein ähnliches taktisches Kalkül, um dem scheinbar übermächtigen Gegner beizukommen. Beide Mannschaften agierten in einem hohen 4-5-System, bei dem auch die Stürmer mit in die Mittelfeldkette rückten und ein personelles Übergewicht erzeugten. Im Zentrum standen die Spieler derart dicht beieinander, dass Lochpässe in die Zwischenräume nur schwer möglich waren. Somit verblieb Spanien nur eine Möglichkeit: Sie mussten um das Zentrum herumspielen, d.h. auf die Außen ausweichen. Das aber wiederum ist schon ein großer Schritt, um gegen Spanien zu bestehen. Wenn die spanischen Spieler nicht zwischen die Ketten kommen, können sie nicht ihre berühmt berüchtigten Schnittstellenpässe an den Mann bringen, ihre potenziell gefährlichste Waffe. Die einzige Möglichkeit, in diesen Zwischenraum zu gelangen, sind die inversen Flügelstürmer, die ins Zentrum ziehen.

Wenig vertikales Spiel

Die Verdichtung im Zentrum hatte weitreichende Folgen. Spieler wie Xavi und Iniesta orientierten sich zunehmend nach hinten, um anspielbar zu bleiben. Fabregas und Silva rücken dadurch automatisch weiter nach hinten, um eine bessere Anbindung zum Spiel zu bekommen. Dies allerdings ist problematisch. Nominell sind Fabregas und Silva, auch Iniesta, das Ende einer Kette. Das Ziel ist es, diese Spieler in eine Position zu bringen, von der aus sie für Gefahr sorgen oder zum Abschluss kommen können. Dadurch, dass die Franzosen und die Kroaten den Weltmeister kurz hinter der Mittellinie empfingen und damit das entsprechende Verhalten bei den spanischen Spielern hervorriefen, wurde Spanien zurückgedrängt und vom Tor ferngehalten. Die Folge sind langandauernde horizontale Ballstaffetten ohne dem Tor ernsthaft näher zu kommen. In einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem vorgenannten Problem steht auch der Mangel an vertikalen Bewegungen. Xavi, Alonso und Busquets sind Spieler, die Freiräume brauchen und daher selten die Wege dorthin machen, wo es eng wird. Wenn sich dann noch Iniesta zurückzieht, bestehen kaum Möglichkeiten für ein vertikales Spiel.

Effizienz als Leitmotiv?

Es gibt nicht wenige, die Spanien gestern eine taktische Ausnahmeleistung attestierten. Durch das langandauernde Passspiel sei der Gegner zermürbt worden und konnte den Spaniern mangels Ballbesitz kaum gefährlich werden. Vorne reichten dann zwei drei effiziente Aktionen, um das Spiel klar zu machen. Diese Sichtweise kann man teilen, aber es muss nicht immer so laufen. Gegen Kroatien gelang es den Spaniern erst kurz vor Schluss, zum Torerfolg zu kommen. Das Ziel muss sein, nicht nur durch viel Ballbesitz zu dominieren, sondern auch häufiger zum Torabschluss zu kommen. Wenig verständlich daher die Meinungen, welche auf Effizienz abstellen. Effizienz kann nämlich relativ schnell von fehlendem Glück verdrängt werden. Wie kann Spanien also den potenziellen Problemen entgegenwirken? Del Bosque täte gut daran, das Spiel seiner Mannschaft etwas bereiter anzulegen und die gegnerischen Ketten zu entzerren. Des Weiteren wäre es auch hilfreich, auf Spieler zu setzen, die auch in der vertikalen Bewegung bewährt sind. Der Sinn von Busquets, Xavi und Alonso im Mittelfeld erschließt sich bei Gegnern wie Frankreich kaum. Hierdurch wird nur der Gewinn von Raum erschwert, Vorstöße in das letzte Spielfelddrittel werden seltener. Letzteres, also der Verzicht auf Xabi Alonso oder Busquets, ist aus der Sicht von del Bosque schlechthin undenkbar, während die Herstellung von mehr im Breite im Spiel wohl auch ihn stark beschäftigt, wie die Einwechslungen verraten(Jesus Navas, Pedro).

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