Zu Gast bei Barçawelt: Interview mit einem Madridista

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Der Clásico steht vor der Tür. Fährt der FC Barcelona einen Sieg ein, befindet man sich wieder voll und ganz im Titelrennen. Momentan liegt die Blaugrana vier Zähler hinter Real Madrid – bei einer Niederlage wären es sieben, bei einem Sieg nur noch ein Punkt. Sehnsüchtig warten die Culés auf den Anpfiff des Clásicos um 21 Uhr. Aber nicht nur die Barça-Fans freuen sich gewaltig und zittern schon vor Aufregung. Auch den Madridista kribbelt es in den Fingern und auch sie wollen mit vollem Einsatz ihre Jungs anfeuern und später jubeln. Barçawelt hat anlässlich des Clásico ein Interview mit einem Madrid-Fan organisiert. Wenn wir vorstellen dürften: Michael, langjähriger Ahnhänger des Teams aus der Hauptstadt, 18 Jahre alt und glühend heiß auf den Clásico.

Hallo Michael, herzlich willkommen im Barçawelt-Studio!
Der Clásico steht bevor und wir haben einige Fragen. Fangen wir mit etwas Simplen an: Wie viel endet das Spiel? Wer sind die Torschützen?

Ja, also erstmal schnieke Bude, die ihr hier habt. Realistisch gesehen denke ich, dass es auf ein 2:2 hinauslaufen wird, wobei ich mir natürlich einen Sieg wünschen würde.

Bezüglich der Torschützen wären da natürlich die üblichen Verdächtigen, Messi und Ronaldo. Ansonsten halte ich nicht viel vom Vorhersagen von Torschützen, weil viel zu viele Faktoren mit einfließen. Wenn z.B. ein Team per Kopf nach einer Ecke trifft, ist es viel wahrscheinlicher, dass Pepe, Ramos oder Piqué die Torschützen sind als etwa Offensivspieler wie Pedro oder Bale. Für Messi und Ronaldo kann man da eine Ausnahme machen, weil beide unfassbare Trefferquoten haben.

Apropos Ronaldo und Messi: Welcher der beiden Spieler ist besser und warum?

Darüber könnte man seitenlang schreiben, denn das ist ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Ich sag’s schon mal vorab: Ich persönlich sehe Messi als den besseren Fußballer. Die Kurzversion meiner Begründung ist, dass Messi der komplettere Spieler ist.

Sehr häufig hört man immer die Aussage, dass Messi zwar besser, Ronaldo aber der komplettere Spieler sei. Meistens sind die „Messeinheiten“ dieser „Komplettheit“ die eher offensichtlichen Komponenten des Spiels: Physis & Technik, meistens unterteilt in Schusstechnik und „sonstige“ Technik. Ronaldo ist physisch natürlich der Prototyp eines Athleten: 1,85m groß, körperlich stark, antritts- und sprintstark, enorme Sprungkraft, und er gewinnt in diesem Aspekt den direkten Vergleich. Technisch ist Messi ein besserer Dribbler, aber ansonsten sei Ronaldo ziemlich gleichwertig, ergo viel kompletter als Messi.

Spielintelligenz und Passspiel sind häufig Aspekte, die dabei unter den Tisch gekehrt werden. Es wird sich sicherlich niemand finden, der Ronaldos Passspiel gegenüber Messis Passspiel als überlegen empfindet, aber dies wird häufig stark unterschätzt. Ronaldos Passspiel ist meiner Meinung nach ziemlich limitiert auf einfache kurze Pässe oder Pässe in den Raum, bei denen es nicht auf Präzision ankommt. Einen Schnittstellenpass durch eine gestaffelte Abwehr hindurch sieht man eher selten, und genau das ist etwas, bei dem Messi ihm weit voraus ist.

Kleines Gedankenspiel zum Aspekt der Spielintelligenz bzw. eher Variabilität: Gehen wir der Einfachheit halber von drei offensiven Positionen aus. Sturm, offensives Mittelfeld und die beiden Flügel rechts und links. Messi kann man meiner Meinung nach auf allen vier Positionen aufstellen und er wird Eigenschaften haben, die der Mannschaft dienlich sind. Ronaldo hingegen würde ich nur auf beiden Flügelpositionen aufstellen. Für das offensive Mittelfeld geht ihm jegliche „spielmachende“ Qualität ab, während ihm für den Sturm, zumindest im spanischen Fußball, das Gefühl für die engen Räume fehlt. Ich spreche hier spezifisch von engen Räumen, denn im Konter ist Ronaldo meiner Meinung nach einer der besten Raumdeuter der Welt. Beispiele dafür sind der Hattrick gegen Schweden oder das Kopfballtor gegen Chelsea in der Pre-Season.

Trotzdem sympathisiere ich natürlicherweise doch mit Ronaldo, wenn es um einen Vergleich der Beiden geht, sei es hinsichtlich der Torschützenkrone in Liga und CL oder beim Ballon D’or, der übrigens ein purer Popularitätswettbewerb ohne jeglichen Wert ist. Aber wenn es ihn glücklich macht, soll er ihn haben.

Interessant! Also beim direkten Spielervergleich hat Barça die Nase vorn. Wie sieht es mit den Vereinen aus? Real Madrid liegt vier Zähler vor dem FC Barcelona. Nach dem Clásico könnten es sieben werden oder nur einer. Was denkst du, wie der weitere Saisonverlauf sein wird? Wer wird Meister und warum?

Der Clásico wird meiner Meinung nach nicht entscheidend sein, denn aus der Erfahrung heraus stellen die meisten Auswärtspartien eine Gefahr des Punktverlustes dar, siehe Barças Punktverlust in San Sebastian, Atléticos Niederlage in Pamplona oder Reals Remis in Bilbao. Natürlich entführen die Top-3 statistisch gesehen trotzdem mehr Punkte aus gegnerischen Stadien als jeder andere Club der Liga, aber definitiv nicht auf dem Punkteniveau der Heimspiele. Für Real stehen mit Real Sociedad und dem FC Sevilla noch zwei ganz schwere Auswärtsspiele an, wobei das Spiel im Anoeta meiner Meinung nach das schwierigste der restlichen Saison ist, neben dem anstehenden Clásico selbstverständlich. Atlético hat meiner Meinung nach noch drei harte Auswärtsspiele, sie müssen ins San Mames, ins Mestella und am letzten Spieltag auch ins Camp Nou, während Barça noch zwei fordernde Auswärtspartien erwarten, und zwar das Stadtderby gegen Espanyol und das Gastspiel bei Villarreal.

Es sollte sich von selbst verstehen, dass jedes weitere Spiel ebenfalls entscheidend sein kann, aber ich glaube daran, dass sich die Liga in diesen Partien entscheiden wird, da die Top-3, abgesehen von Spielen gegeneinander und zwei Ausrutschern (Barça gegen Valencia, Atlético gegen Sevilla) makellose Heimbilanzen aufweisen. Eine große Rolle wird außerdem auch das Weiterkommen in der Champions League spielen. Je länger man dabei ist, desto härter wird die Doppelbelastung. Ein Punkt, bei dem ich glaube, dass Atlético einen Vorteil haben wird.

Letztendlich sehe ich aber Barça oder Real als Meister und der entscheidende Aspekt wird die Konstanz sein, mit der man die restlichen 24 Punkte nach dem Clásico einfährt.

Wo wir schon den Clásico anschneiden, wie wird Ancelotti deiner Meinung nach das Team aufstellen?

Auf der Pressekonferenz nach dem CL-Spiel gab er klar zu verstehen, dass es keine großen Überraschungen geben wird. Man darf also davon ausgehen, dass Madrid im 4-3-3 auftritt. Im Tor Diego Lopez als Stammkeeper in La Liga mit einer Abwehr aus Carvajal-Pepe-Ramos-Marcelo davor. Carvajal ist nach Arbeloas Verletzung quasi konkurrenzlos gesetzt, während Varane laut Aussagen des Trainerteams in dieser Saison keine zwei Spiele innerhalb einer Woche bestreiten wird, aufgrund einer hartnäckigen Knieverletzung. Links ist Marcelo ziemlich sicher gesetzt, da Ancelotti anders als noch Mourinho nicht auf Coentrao in großen Spielen zurückgreift und er zudem kaum zum Zug kam in dieser Saison. Die einzige Änderung, die mir einfallen würde, wäre Nacho für Carvajal auf rechts, falls Ancelotti die defensiven Außenbahnen stärken will (der Schwachpunkt im Defensivkonstrukt). Der polyvalente Nacho hat ein starkes Spiel gegen Schalke abgeliefert, allerdings sind Neymar und Alba und ganz anderes Kaliber als Draxler und Kolasinac und ich bezweifle, dass Ancelotti ihn einfach so reinwirft.

Bezüglich des Mittelfeldes wird es ganz klar das Trio Di Maria-Alonso-Modric sein. Davon weicht Ancelotti selten ab und wird es auch im Clásico nicht tun. Auch in der offensiven Dreierreihe werden zu 90% Ronaldo-Benzema-Bale starten. Das einzige Fragezeichen steht hinter Benzema, der nach seiner Verletzung letzte Woche gegen Málaga allerdings wieder normal trainiert. Die Alternativen dazu wären zu Isco als Falsche 9 oder Morata in der Spitze, was ich nach dem Schalke-Spiel aber bezweifle.

Viel wichtiger als Zahlen und Namen ist aber das taktische Konzept, welches Ancelotti vorlegen wird. In den letzten Monaten hat sich das symmetrische Auftreten mit deutlich getrennten Mannschaftsteilen bewährt, allerdings verlangt dies einen enormen Workload von den beiden 8ern, meistens Di Maria und Modric, ab. Die Schwäche im Defensivkonstrukt liegt hierbei meistens bei den defensiven Außenbahnen, wo sich die Außenverteidiger oft im 1gg1 oder sogar 1gg2 wiederfinden. Rücken Modric und Di Maria zur Unterstützung raus, öffnet man Räume in der Mitte, insgesamt also einfach zu wenig Personal gegen offensiv aufrückende Gegner. Zur Lösung dieses Problems könnte Ancelotti in einer 4-4-2 Formation verteidigen lassen, was sporadisch auch schon in einigen Spielen zu sehen war. Dabei rückt Bale auf rechts eine Reihe tiefer – super Defensivspieler übrigens, sehr gut im direkten Zweikampf mit seiner Physis – , während Di Maria weiter nach links geht und das Zentrum von Alonso und Modric verteidigt wird. In dieser Form wäre man allerdings gegen Barça in Unterzahl im Mittelfeld, kein besonders erstrebenswertes Ziel.

Meine Idee wäre daher im Mittelfeld mit einer 5er Kette zu verteidigen, also im 4-5-1 oder genauer 4-1-4-1 – by the way: gutes Beispiel dafür, das Systembezeichnungen schlussendlich nur Zahlenfolgen sind, denn ein 4-5-1 ist ein 4-1-4-1 und umgekehrt genauso, trotzdessen kann man beide völlig unterschiedlich interpretieren. Ronaldo ist und bleibt der Freigeist vorne, der nur die Verteidiger ab und zu anläuft (eine Realität, die sich nicht ändern lässt). Die 4er Reihe hinter ihm besteht aus Benzema-Di Maria-Modric-Bale. Das Problem dabei ist, dass Benzema kein besonders starker Defensivspieler ist. In diesem Aspekt wäre Morata als Stürmer sinnvoll, der diese Rolle als Verteidiger für Ronaldo schon öfters, zuletzt auch gegen Schalke gespielt hat. Allerdings ist er ansonsten einfach nicht weit genug, um so ein großes Spiel zu bestreiten (mir ist klar, dass er letztes Jahr im Clásico in der Startelf stand, das war aber eine völlig andere Situation mit der entschiedenen Liga). So versucht also in meinem theoretischen Ansatz Benzema Ronaldos „Zocken“ in der Spitze zu verteidigen, wobei ich mir nicht sicher bin, wie gut er das hinkriegen würde.. Hinter der 4er Reihe steht Alonso als Abräumer und Koordinator vor der defensiven 4er Kette.

Es wäre also meines Erachtens angesagt, von der Reinform des 4-3-3 – zumindest im Defensivkonzept – abzuweichen, um die Außenbahnen defensiv zu stärken, ohne die Kompaktheit im zentralen Mittelfeld zu opfern. Wenn Ancelotti also davon spricht, dass es keine Überraschungen geben wird, dann hoffe ich, dass er offensichtliche Dinge wie die Namen in der Startelf meint, denn ich glaube nicht an einen Erfolg mit dem standardmäßigen Defensivkonzept Ancelottis gegen Barças doppelt besetzte Flügel. 

Sympathisierst du mit Ancelotti? Bist du zufrieden, dass Mourinho weg ist? Sind dir ruhigere Clásicos lieber?

Ancelotti ist natürlich ein ganz anderer Trainertyp als Mourinho. Er bringt eine willkommene Ruhe ins Team und in den Verein, während Mourinho im Laufe seiner Zeit Probleme mit Sportdirektor, Castilla-Trainer und nicht zuletzt Teilen der Mannschaft hatte. Insofern war es gut, dass Mourinho ging. Allerdings sollen seine Verdienste nicht in Vergessenheit geraten. Er führte das Team in drei aufeinanderfolgende CL-Halbfinals, in denen man teils sehr unglücklich ausschied, und er durchbrach die Vorherrschaft der vermutlich dominantesten Vereinsmannschaft aller Zeiten mit der Meisterschaft 2012. Man muss auch bedenken, dass man vor Mourinho in sechs aufeinanderfolgenden Achtelfinalspielen der CL ausgeschieden ist. Auf seine charakterlichen Entgleisungen hätte ich aber gerne verzichten können, aber das gehört wohl einfach zu seiner Person.

Als Madrid-Fan kennst du dich sicherlich gut damit aus, wo die Königlichen verwundbar sind. Erzähle uns doch bitte von den Schwächen.

Die Schwächen liegen, wie bereits erwähnt, auf den defensiven Außenbahnen, die besonders empfindlich für gegnerische Angriffe sind, und auch in zum Teil auftretenden Abständen zwischen Mittelfeldreihe und Offensivreihe, im Grunde also fehlender Feinjustierung, was nach noch nicht mal einer Saison vollkommen normal ist und sich hoffentlich bessert.

Weiterhin zähle ich, besonders in diesem Clásico, auch die Optionen von der Bank für die Offensive zu den Schwachpunkten. Man ging in die Saison mit doppelt besetzten Offensivpositionen: Für die Flügel Jesé, Ronaldo, Bale und Di Maria, im Sturm Benzema und Morata und für die offensiveren Mittelfeldpositionen Modric und Isco. Die defensivere „8er“ Rolle wurde durch Khedira/Casemiro besetzt, während die „6“ Illarra und Alonso gehört.

Zwei Ausfälle haben die gesamte Planung jedoch über den Haufen geworfen. Zuerst Khediras Kreuzbandriss, durch den man die „Box-to-box“ Position neu besetzen musste, da Casemiro trotz guter Vorbereitung nicht die Qualität für einen Stammplatz besitzt. Di Maria wurde also dann zum 8er umgestellt, was sich im Verlaufe der Saison bewährte. Nun hat sich aber auch leider Jesé, der nach Di Marias Versetzung die erste Wechseloption für die Flügel wurde, das Kreuzband gerissen. Di Maria ist allerdings nicht mehr aus dem Mittelfeld wegzudenken, da es keine Alternative mit vergleichbaren Eigenschaften gibt, während Morata leider immer seine Nerven verliert, wenn er für Madrid aufläuft (absolute Klasse für die spanische U21) und zudem nicht in die Rolle des Supportstürmers, die Benzema spielt, passt.

Zusammengefasst ist die einzige offensichtliche Wechseloption für die Offensive also Isco, der sich so gesehen auch jedes Spiel selbst einwechseln könnte, sei es bei Führung als Falsche 9 für Benzema oder bei Rückstand als offensiverer 8er für Di Maria. Daneben existiert leider keine weitere Möglichkeit, personell von der Bank die Offensivabteilung zu beeinflussen. Zudem ist Isco, wie auf der abschließenden Pressekonferenz von Ancelotti zu hören war, leicht grippegeschwächt, viel darf man also in diesem Clásico von der Madrider-Bank nicht erwarten.

Und abschließend noch: Was sagst du dazu, dass Madrid den Schiri immer auf seiner Seiten haben soll?

Wenn ich da ganz ehrlich sein soll, haben Fans von großen Teams da nichts, worüber sie klagen können. Direkt aus dem Kopf kenne ich so einige Beispiele: Real diese Saison bei Elche mit dem Phantomelfer, Bojans aberkanntes Tor im CL-Halbfinale gegen Inter, Barças aberkannte Tore gegen Man City, Schalke mit ihren vier Spielern im Abseits in der Gruppenphase gegen Basel, Drogbas Abseitstor im Old Trafford, welches Chelsea die Meisterschaft bescherte, Inzaghis 3-m-Abseitstor beim 2-2 gegen Real im San Siro, Mottas Rote gegen Barça im CL-Halbfinale und natürlich noch die berüchtigte „Fergie-Time“ aufseiten Uniteds (dahinter steckt natürlich genauso viel Logik wie hinter „Uefalona“, „Uefadrid“, „Uefayern“ oder sonstigem Unsinn, aber direkt fiel mir keine Situation zugunsten Uniteds ein).

Aus dem Kopf sind das jetzt Beispiele für Fehlentscheidungen auf mehr oder weniger großer Bühne. Dabei wird wirklich jede Mannschaft mal bevorteiligt, ein anderes Mal aber auch wieder benachteiligt. Geht einfach zu Youtube und such nach „Team hier einfügen“ diver , cheater etc.

Mir ist übrigens bewusst, dass manche Leute behaupten, dass dies für dieses und jenes Team viel öfter geschehe, aber das ist nur natürlich und würde ich auch nicht anders machen. Es wäre ja fast schon erschreckend langweilig, wenn sich alle jederzeit einig wären.

Danke dir vielmals, Michael. Ein sehr tolles Interview mit dir! Es hat uns einen genauen Einblick in die Madridwelt verschafft. Auf ein faires und spannendes Spiel heute Abend.

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