Kommentar: Xavi als Barçatrainer – richtiger Ort, falscher Zeitpunkt

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Das Treffen der Verantwortlichen des FC Barcelona mit Xavi Hernández hat für Furore gesorgt, manche Culés wünschen sich nun sogar eine sofortige Rückkehr der Klublegende zu den Katalanen – und zwar als Trainer. Doch dieser Schritt wäre verfrüht und könnte in einer Katastrophe enden. Ein Kommentar.

Hauptsache Valverde weg?

Ohne Frage sind die Xavi-Rufe vor allem deshalb so laut, weil viele Fans mit Ernesto Valverde unzufrieden sind. Die Spielweise der Katalanen hat sich nach Meinung der meisten Anhänger in den letzten zweieinhalb Jahren unter Valverde eher verschlechtert denn verbessert. Zu Beginn der Valverde-Zeit konnte man noch argumentieren, dass zumindest die gute Defensive die maue Offensivkraft entschuldige. Nach 23 Gegentoren in 19 Ligaspielen diese Saison kann davon aber keine Rede mehr sein.

Zum Vergleich: Die beiden Madrider Topklubs haben beide lediglich zwölf Gegentore kassiert und damit beinahe nur die Hälfte. Diese Tatsache zusammen mit der Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie man die letzten beiden Jahre in der Champions League ausschied, sorgen nun für die Vehemenz, mit der ein anderer Trainer gefordert wird. Aber soll das Xavi sein?

Xavi als Heilsbringer der guten alten Zeiten

Mit Xavi, so hat man das Gefühl, soll wieder der gute alte Barça-Stil zurückkehren. Die Mittelfeldlegende der Blaugrana kennt den Klub immer noch in- und auswendig und prägte als Spieler den Stil, den sich die meisten Culés auch heute wieder wünschen. Schnelles Kurzpassspiel, erdrückender Ballbesitz, variable Formationen, geballte Offensivkraft – so lauten die Forderungen. Dabei wird aber oft vergessen, dass Xavi eben seine erste Saison als Profi-Trainer verbringt, erst seit wenigen Monaten überhaupt in diesem Job agiert.

Erst im Mai 2019 beendete er seine aktive Karriere als Spieler und schlug endgültig die Trainerlaufbahn ein. Selbstverständlich besitzt er viel Erfahrung – aber eben nur als Spieler und nicht als Trainer. Ihn nun nach einem halben Jahr schon zum Trainer einer der größten Vereine der Welt zu machen, ist schlicht unvernünftig. Wo soll Xavi denn seine Kenntnisse als Trainer erworben haben? Bei seiner bisherigen Station in Katar coacht er mit Al-Sadd einen Verein, dessen Niveau mit dem Barça bei allem Respekt nicht verglichen werden kann.

Dazu muss man noch hinzurechen, dass Al-Sadd unter Xavis Führung keineswegs einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht hat. Im Moment steht man mit neun Punkten sowie einem Spiel weniger auf dem dritten Platz der Tabelle. Xavis Mannschaft erzielte zwar bisher die meisten Tore in der Liga, was für ihn spricht, kassierte jedoch auch die meisten Gegentreffer aller Klubs der oberen Tabellenhälfte.

 

Spieler-Beziehungen als Problem

Abgesehen von Xavis fehlender Erfahrung könnte auch sein Alter eine Rolle spielen. Kehrte er jetzt oder im Sommer zu den Blaugrana als Cheftrainer zurück, hätte er viele Spieler unter seiner Obhut, mit denen er einst selbst noch zusammenspielte. Dies muss zwar nicht zwingend ein Nachteil sein, würde die Beziehungen in der Kabine jedoch sicher nicht einfach gestalten. Würde er Piqué, Busquets, Messi und seine alten Gefährten bevorzugen? Könnte er objektiv ihre Leistung beurteilen und sie eventuell auch nicht aufstellen?

Auf der anderen Seite muss man sich fragen, wie diese Spieler auf ihn reagieren würden. Hätten sie denselben Respekt vor ihm wie vor einem gestandenen Trainer von außerhalb, der sich schon als Coach einen Namen gemacht hat? Würden sie seine Anweisungen wirklich beachten, wo doch schließlich die Frage berechtigt wäre, warum er es denn besser wissen solle als zum Beispiel Piqué selbst?

Insgesamt entstünden zweifellos einige Konflikte in der Kabine, die man mit einer anderen Trainerwahl würde vermeiden können. Es ist schwer vorstellbar, dass Xavi ehemalige Mitspieler komplett gleich behandeln würde wie ihm noch persönlich unbekannte Spieler. Aus diesem Grund kommt ein Engagement Xavis eigentlich erst in Frage, wenn keiner oder kaum einer seiner damaligen Mitspieler noch aktiv beim FC Barcelona unter Vertrag steht.

Winter-Wechsel überhastet

Dazu käme noch der sehr ungünstige Zeitpunkt eines Trainerwechsels mitten in der Saison. Von Xavi würde man sich viel erwarten, unter anderem einen neuen Stil und eine neue Spielphilosophie. Doch eben das kann man nur mit viel Zeit bewerkstelligen. In der Rückrunde, wo die Blaugrana oft im Dreitagesrhythmus spielen muss, wäre eine solche Umstellung schlicht unmöglich. Von keinem Trainer kann verlangt werden, innerhalb weniger Tage das gesamte Spielkonzept zu ändern. Genau das wäre aber der Grund, weshalb man Xavi holen würde.

Als Folgeerscheinung hätte Xavi daher vermutlich innerhalb kurzer Zeit mit massivem Gegenwind zu kämpfen. Und sollte bis zum Sommer wirklich keine Besserung sichtbar sein, würde er schnell unter Beschuss geraten, seine Position wieder in Frage gestellt werden. In diesem Sinne stellt sich die Frage, ob es jemandem wie Xavi gerecht werden würde, ihn wie jeden anderen Trainer kurzfristig zu holen und ebenso kurzfristig zu entlassen. Dieser Umgang würde einer Legende, wie er es ist, mit Sicherheit nicht gebühren.

Xavi und Barça? Gerne, aber nicht jetzt!

Damit kommt man fast unweigerlich zu dem Schluss, dass Xavis überstürzte Einstellung zum jetzigen Zeitpunkt keine gute Idee wäre. Seine Unerfahrenheit, sein Bezug zu den Spielern und die insgesamt schwierige momentane Situation bei Barça sprechen klar dagegen.

Allerdings heißt all das nicht, dass Xavis Trainerlaufbahn nicht eines Tages bei den Katalanen enden könnte. Beweist er sich erst einmal in Katar und später in einer europäischen Topliga, dann würde man ihn sicher mit Freuden empfangen. Sowohl Barça als auch Xavi selbst haben bereits mehr als deutlich gemacht, in Zukunft an einer Zusammenarbeit interessiert zu sein – in diesem Sinne muss nichts überstürzt werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass Xavi aufgrund mangelnder Alternativen bei einer Hauruck-Entlassung Valverdes nicht als „Übergangstrainer“ herhalten muss. Damit täte man zum aktuellen Zeitpunkt niemandem einen Gefallen.

 

Michael Weilch
Michael Weilch
Treuer Culé seit Beginn der Ära Messis und der festen Überzeugung, dass Barça "més que un club" ist. Hofft, dass sich die Blaugrana auf ihre historischen Wurzeln besinnt und gerade in heutigen Zeiten ein Leuchtbild für Demokratie und Chancengleichheit darstellt - der Grund, warum der FC Barcelona eben nicht "nur" ein Fußballverein ist. Motto: "Tots units fem força!"
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