Barcelonas Glaubensfrage beim System: 4-3-3 oder 4-2-3-1?

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Kaum ein Klub der Welt definiert sich so stark über Spielstil und Formation wie der FC Barcelona: Das 4-3-3 ist in der Barça-DNA verankert und seit Jahren Wegbereiter für Erfolg. Ronald Koeman hat andere Pläne, doch die schwachen Leistungen sorgen zunehmend für System-Debatten. Zurecht?

Die Glaubensfrage stellt man beim FC Barcelona eigentlich nicht: Das 4-3-3-System ist in Stein gemeißelt und nicht erst seit Johan Cruyff Gesetz bei Barca. Alle Jugendmannschaften richten sich an dieser Doktrin aus, eine Abkehr davon käme einem Glaubensverrat nahe.

An dieser Grundordnung rüttelte auch kaum ein Trainer der ersten Mannschaft in den letzten Jahren – jedenfalls nicht dauerhaft -, mit Ausnahme der wenig erfolgreichen Zeit rund um die Jahrtausendwende. Mit Frank Rijkaard war es 2003 dann der von Cruyff empfohlene Mann, der wieder strikt auf das 4-3-3 setzte. Der Erfolg sollte ihm mit dem Champions-League-Titel 2006 recht geben. Auch danach war es eigentlich nur selten ein Thema, auf eine andere Grundformation zu setzen: Pep Guardiola versuchte eine Saison lang eine 3-4-3-Kopie von Cruyffs Dream Team, um für Cesc Fabregas Platz zu schaffen und Ernesto Valverde setzte immer mal wieder auf sein eigentlich bevorzugtes 4-4-2, als Barça Verletzungsprobleme und nicht ausreichend Flügelstürmer hatte.

Koemans Begründungen für das 4-2-3-1

Ronald Koeman hat diesbezüglich andere Vorstellungen und entschied sich schon relativ früh für eine Veränderung der taktischen Ausrichtung. Sein bevorzugtes und schon mit der Nationalelf Hollands praktiziertes System: 4-2-3-1. Der ehemalige Bondscoach erklärte die Veränderung damit, dass es dem Spielermaterial des Kaders mehr entsprechen würde. Seine Begründung damals: Frenkie de Jong kann auf seiner bevorzugten halblinken Sechser-Position, Antoine Griezmann, Philippe Coutinho und Lionel Messi möglicherweise gemeinsam auf den vier nominellen Offensivpositionen spielen. Die Realität sieht anders aus und der Ruf zur Rückkehr zum 4-3-3 wird lauter. Doch liegt es wirklich am System? Nicht nur.

Richtige Überlegungen und fehlende Mosaiksteinchen

Koemans Grundüberlegungen, auf das System mit der Doppelsechs zu setzen, machen durchaus Sinn, offenbaren aber auch fehlende Puzzlesteine. Frenkie de Jong fühlt sich in der halblinken, mit dem Spielaufbau betrauten Position am wohlsten, braucht aber einen Box-to-Box-Mittelfeldspieler neben sich – wie Wijnaldum im Nationalteam.

Busquets und Pjanic sind keine optimalen Partner, weil auch sie ihre Stärken in der vermeintlichen de-Jong-Rolle haben. Mit Carles Aleña und Riqui Puig hat man Spieler, die in puncto Dynamik die offensive Sechs ausfüllen können, beide haben ihre Stärken aber klar als Achter im 4-3-3.

Das System, mit dem sie in La Masia groß geworden sind. Auch offensiv spricht einiges für, manches gegen die drei offensiven Spieler hinter einer Solospitze. Griezmann funktioniert am besten als hängende Spitze hinter einem echten Mittelstürmer, Coutinho spielt am liebsten als offensiver Mittelfeldspieler und Messi, der den Großteil seiner Karriere über rechts kam, driftet mehr und mehr in die Mitte, wo er mittlerweile fast ausschließlich vorzufinden ist – selbst wenn er nominell auf rechts aufgestellt wird.

Das Problem: Mit Ansu Fati fällt eine Lösung aus, die den linken Flügel und die Neun aktuell wohl am besten besetzen könnte. Martin Braithwaite ist bemüht, dem Dänen fehlt aber die Klasse für höchste internationale Ansprüche und sowohl Messi als auch Griezmann fehlt im 4-2-3-1 die Wirkung als vorderster Angreifer, beide lassen sich gerne tief fallen und kommen dem Ball entgegen. Fakt ist, dass Koeman durch das System einen Offensivplatz gewinnt und so über den Verlauf der Saison jeden seiner Stars – inklusive Dembélé und Fati – genügend Spielzeit geben kann. Wohl auch eine seiner Grundüberlegungen, auf diese Taktik zu setzen.

Probleme gibt es auch beim 4-3-3

Die bisherigen Spiele haben aber ebenfalls gezeigt, dass der Platz eng wird und sich die vier Offensivkräfte zuletzt oftmals auf den eigenen Füßen stehen – gerade im Zentrum des Spielfeldes. Würde eine Rückkehr zum 4-3-3 diese Probleme lösen? Nur wenn Ronald Koeman die heißen Eisen anpackt!

Im Mittelfeld muss er Platz für Aleña oder Puig schaffen, dann könnte ein Mittelfeldtrio mit Busquets als „Pivote“, de Jong auf halblinks und Aleña oder Puig über halbrechts eine Rückkehr zum alten Stil bedeuten. Gibt er den Eigengewächsen aber nicht diese Prominenz, dann scheitert eine Rückkehr schon am Mittelfeldtrio.

Pjanic, de Jong und Busquets wäre ein Kompromiss, der nicht passt. Auch offensiv würden die Entscheidungen für Koeman nicht leichter: Messi ist gesetzt, funktioniert aktuell im 4-3-3 aber nur über rechts – eine Position, die er dann aber auch halten müsste.

Im 4-3-3 gäbe es derweil aber keinen Platz für Griezmann, dessen Position in diesem System schlicht nicht existiert. Der Franzose kommt auf den Flügeln nicht zurecht, wie er unter Ernesto Valverde letzte Saison als Linksaußen und unter Koeman Anfang dieser Spielzeit als Rechtsaußen bewiesen hat. Auch Coutinho funktioniert im Barça-typischen System mit drei Angreifern nicht, als linker Flügel zieht er viel zu oft in die Mitte oder steht da bereits wie festgewurzelt – zuletzt hat er das beim 1:2 in Cadiz abermals unter Beweis gestellt. Der Brasilianer hätte somit ebenfalls keinen Platz im Team, denn auf links benötigt Barça in diesem System unbedingt Breite und Tiefenläufe. 

Systemproblem: Im 4-3-3 hätten Griezmann und Coutinho keinen Platz – ihre besten Positionen existieren nicht. Auch Pedri fühlt sich zentral offensiv am wohlsten. Und dann ist da noch der immer in die Mitte ziehende Messi…

Sollte Koeman aktuell zum 4-3-3 zurückkehren, dann benötigt er zumindest einen klassischen Außenstürmer, der das Feld breit macht: Dembélé und Konrad de la Fuente können das. Trincão müsste man den Linksaußen erst beibringen, er fühlt sich am wohlsten, wenn er von rechts in die Mitte ziehen kann – die Position, die er bei Braga spielte.

Auch eine Umstellung auf Barças geliebtes 4-3-3 wäre also derzeit kein Allheilmittel – der Grund dafür ist schlicht die grandios verfehlte Kaderpolitik gepaart mit Messis verändertem Spielstil. Eigentlich ist das 4-3-3 bei den Katalanen Gesetz, doch ganz zu Unrecht stellte Ronald Koeman die Glaubensfrage nicht. Sein 4-2-3-1-System dient dazu, die Stärken der vielen ähnlichen Spieler in Barças Kader zu maximieren. Das Hauptproblem ist also wahrlich nicht das System, sondern das Spielermaterial.

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