Ter Stegens Corona-Tagebuch: “Unser erster Gedanke war: Wie können wir helfen?”

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Ein einem sehr persönlichen Tagebuch spricht Marc-André ter Stegen über seinen Umgang mit der Coronavirus-Pandemie und der Quarantäne in Spanien, seinen Tagesablauf, seine Gedanken und Empfindungen in dieser Ausnahmesituation.

Marc-André ter Stegen gehört seit Jahren zu den Leistungsträgern des FC Barcelona. Auf dem Spielfeld zeigt der Deutsche nicht nur starke Leistungen, sondern er ist zu einer Führungspersönlichkeit bei der Blaugrana geworden. Im Alltag zeichnet sich der 28-Jährige durch eine reife Denkweise und starke Persönlichkeit aus. Ter Stegen ließ ESPN ein Tagebuch zukommen, in dem er reflektiert über das Coronavirus und die Zeit in der Quarantäne schreibt. Wir haben seine persönlichen Erlebnisse ins Deutsche übersetzt:

Ter Stegen… über die Zeit, als der Ausbruch des Virus begonnen hat

“Wir waren gerade auf dem Weg nach Neapel, um ein Champions-League-Spiel zu absolvieren, als die Dinge anfingen, sich zu entwickeln. Zur Zeit gab es schon Coronavirus-Fälle im Norden Italiens, bei der Ankunft in Italien wurde uns die Körpertemperatur gemessen, alles war jedoch okay. Im Allgemeinen war die Stimmungslage so, dass die Pandemie, in der wir uns nun befinden, noch weit entfernt war. Wir ahnten nicht, dass es [das Virus] schon vor der Tür stand.

Das Virus war unbeherrschbar, erreichte blitzschnell auch Spanien. Man bekam Angst davor, aber niemand hat mit einer Situation gerechnet, wie wir sie heutzutage erleben. 

Zwei Wochen später, am 7. März, fand unser Spiel gegen Real Sociedad im Camp Nou statt. In der darauffolgenden Woche wurde der Spielbetrieb in La Liga ausgesetzt. Niemand hat erwartet, dass die Entscheidung so schnell fällt, aber die Liga traf die richtige Entscheidung, mit dem Fußballspielen aufzuhören. Zu dieser Zeit sind bereits Menschen an der Krankheit verstorben.

Wir haben dann unser normales Trainingsprogramm fortgesetzt bis zum 13. März, aber als unser CL-Rückspiel gegen Neapel im Achtelfinale abgesagt worden ist, wurden wir nach einer Besprechung mit dem Ärzteteam des Vereins und einem Epideologen nach Hause geschickt. Uns wurde der Ernst der Lage erklärt sowie die Maßnahmen, die wir beachten müssen, inklusive wie wichtig soziale Distanzierung ist. Am wichtigsten war für jede Einzelnen, gesund zu bleiben. 

Unser erster Gedanke war: wie können wir helfen? Uns ist bewusst, dass sich der Fußball nicht nur aufs Spiel beschränkt – es ist alles, was ihn umgibt. Zahlreiche Menschen sind im Fußballgeschäft tätig und verdienen ihr Geld damit, dass ein Fußballspiel in Barcelona stattfindet. Fußball ist nicht die wichtigste Sache im Leben, aber er spielt eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Für uns war klar, dass die Pandemie die Menschen um ihre Existenz kämpfen lassen würde.

Wir wollten so lokal wie möglich helfen. Barça hat eine einzigartige Bedeutung für uns alle und als Spieler wollten wir etwas Gutes für den Verein tun. Das galt auch für Deutschland. Meiner Meinung nach hat sowohl Barça als auch die Nationalmannschaft gute Entscheidungen getroffen. Ich bin froh, dass es nie eine Diskussion darüber gab, ob wir helfen würden, sondern nur darüber, wie wir das tun können. Das macht mich sehr stolz.

Dabei geht es nicht schlicht ums Geld. Fußballer haben Millionen an Followern. Durch gut ausgewählte Botschaften sind wir in der Lage, Bewusstsein zu schaffen. Ein Beispiel: ich habe eine Herausforderung vom Liverpool-Keeper Alisson Becker angenommen, um ein Video darüber zu posten, wie man sich gründlich die Hände wäscht – damit das Risiko reduziert wird, sich zu infizieren und das Virus zu verbreiten. Als ich sein Video angeschaut habe, wollte ich mehr wissen. Ehrlich gesagt habe ich vorher nie darüber nachgedacht. Das kann einen beeinflussen – mich hat es beeinflusst!”

 

 …über die Zeit in Quarantäne in Spanien

“Die Pandemie hat Spanien besonders hart getroffen. Es wurde uns fast acht Wochen lang verboten, das Haus zu verlassen. Diese Beschränkungen werden jetzt allmählich aufgehoben, aber man sollte nicht wirklich aus einem negativen Blickwinkel auf die Dinge schauen. Diese Ereignisse lassen uns die Dinge wertschätzen, die wirklich wichtig sind.

Für mich persönlich bedeutete es, dass ich mich voll auf die Vaterschaft konzentrieren konnte. Mein Sohn Ben ist 4 Monate alt. Für gewöhnlich wacht meine Frau Dani nachts die meiste Zeit mit ihm auf wenn ich am nächsten Tag ein Spiel oder Training habe. Sie hatte definitiv mehr Schlafentzug als ich! Aber in der Qurantäne sah es aber ganz anders aus. Wir wechseln uns dabei ab.  

Ben ist ein sehr umgängliches Kind. Die Zeit mit ihm ist wunderbar. Er wächst unheimlich schnell und bei ihm zu sein ist einfach großartig. Du kannst dermaßen viele neue Dinge wahrnehmen wenn du jeden Tag mit ihm Zeit verbringst. Er ist sehr aktiv mit seinen Füßen und Händen, reagiert auf alles. Wir passen auf ihn auf, aber witzigerweise scheint er auch auf uns aufzupassen und jede einzelne Bewegung von uns zu beobachten. Wenn er tagsüber schläft entsteht ein Spiel daraus, so schnell wie möglich einen Blick auf Emails und ungelesene Nachrichten zu werfen und diese zu beantworten. Ich muss zugeben, ich kann echt unorganisiert sein, wenn es darum geht, Antworten zu schreiben. Und wenn Ben Aufmerksamkeit möchte, versuche ich, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. 

Abgesehen davon, dass ich Bücher lese und mir zum zweiten Mal die Serie ‘Haus des Geldes’ anschaue (meine Frau hat sie noch nicht gesehen, nimmt das Kochen viel Zeit in Anspruch. Meine Frau und ich bereiten jeden Tag etwas Frisches zu und suchen täglich nach neuen Rezepten. Wir haben uns ein paar leckere Gerichte gekocht, wie zum Beispiel das ‘Gelbe Linsen Dal’ neulich. Es war ein bisschen mächtig, aber auch wirklich gut! 

Frisches Obst und Gemüse bekommen wir jeden Donnerstag geliefert. Das ist also ein Tag, auf den wir uns immer freuen, obwohl das Waschen und das Verstauen der Lebensmittel immer viel Zeit erfordert. Die Qualität ist großartig und mir gefällt die Verbundenheit, die wir zu den Lieferanten haben. Sie geben uns sogar Tipps, was ganz frisch ist oder was saisonbedingt angesagt ist. Wir essen zurzeit nicht viel Fleisch oder Fisch. Ich würde nicht sagen, dass wir Vegetarier oder Veganer sind, aber wie oft wir in den letzten sechs Monaten Fleisch oder Fix gegessen haben, kann ich an einer Hand abzählen.

Ich versuche, mich auf dem Laufenden zu halten. In Deutschland ist die Situation ganz anders und dort wurden auch andere Entscheidungen getroffen. Das ist interessant. Ich glaube, es ist notwendig, über das, was geschieht, informiert zu sein.

In Spanien wird die Situation besser. Die Sterblichkeitsrate hatte ihren Höhepunkt erreicht, und jetzt geht sie runter. Ich hoffe, dieser Trend hält an. Ich hoffe, die Menschen respektieren die Beschränkungen der vier jeweiligen Phasen, die im Land eingeführt wurden, damit wir bald zur Normalität zurückkehren können.

Wir haben definitiv eine Menge über uns selbst gelernt. Es gibt viele negative Aspekte, aber diese Situation hat uns auch Dinge gelehrt, über die wir jetzt vielleicht nachdenken werden. Die Menschen erkennen, wie gut die Welt miteinander verbunden ist und dass es vielleicht nicht normal ist, ständig von einem Punkt zum anderen zu fliegen. Das ist ein Luxus. Vielleicht wussten wir das nicht so zu schätzen, wie wir es sollten.

Ich bin gespannt, wie die Menschen miteinander umgehen, wenn die Beschränkungen aufgehoben werden. Werden sie sich die Hand geben? Werden sie versuchen, direkten Kontakt zu vermeiden? Vielleicht am Anfang, aber auf lange Sicht? Ich bin kein Fan des Händeschüttelns. Ich kann auch respektvoll und nett zu Menschen sein, indem ich sie grüße und sie anschaue. In Spanien zum Beispiel ist es ganz normal, sich zur Begrüßung auf die Wangen zu küssen. Die Menschen sind einander sehr nahe, wenn sie kommunizieren. Vielleicht wird sich das ändern. Ich weiß es nicht. Niemand weiß, wie das Leben nach dem Coronavirus sein wird, aber ich bin neugierig darauf, es herauszufinden.

Was ich am meisten vermisse ist die Spontaneität, sich so zu bewegen, wie man möchte. Wenn du an den Strand gehen willst, kannst du hingehen. Wenn du in die Stadt gehen willst, gehst du. Das war vorher so normal, dass man es nicht realisiert hat. Wir waren letzte Woche wegen Bens Impfung beim Kinderarzt, und es fühlte sich wie Freiheit an.

 

…darüber, wie die Spieler miteinander in Kontakt blieben

In der ersten Woche fühlte es sich nicht so schwer an, kürzerzutreten und sich zu entspannen, aber mit der Zeit war es für jeden anders und schwierig. In Barcelona sind wir mit gelegentlichen Teamsitzungen über Zoom in Verbindung geblieben. Wir haben einige Dinge besprochen, aber es ist schwierig, regelmäßig in Kontakt zu bleiben. Wir sind nicht jeden Tag in Kontakt, um zu sehen, wie es uns geht. Das ist auch für uns alle Familienzeit – etwas, was wir nicht oft viel bekommen – und wir respektieren den Freiraum des anderen.

Mit einigen Teamkollegen gibt es mehr Kontakt, mit anderen weniger. Es ist schön, in diesem Rhythmus von Spielen und im Kreis unserer Umkleidekabine zu sein – das vermisst man. Es ist eine Familie. Man verbringt so viel Zeit miteinander.

Am Freitag haben wir endlich mit der individuellen Trainingsarbeit begonnen. Es ist großartig, wieder mit der Arbeit beginnen zu können. Jeder hofft darauf, dass die Saison zu Ende gespielt werden kann, aber das hängt natürlich von den Anweisungen der Regierung ab. Wir werden unser Bestes geben, um diese zu respektieren und sie zu befolgen. Ich freue mich darauf, wieder Fußball spielen zu können. Wenn sie rufen, werde ich da sein, auch wenn es einige Vorbereitungen braucht, um wieder die Match Fitness zu erlangen. Man kann die individuelle Arbeit, die wir zu Hause geleistet haben, nicht mit der spezifischen Arbeit auf dem Spielfeld vergleichen, aber gib mir den Ball und ich werde versuchen, das Beste aus der Situation zu machen!

Ich habe mein Bestes gegeben, um fit und gesund zu bleiben und bereit zu sein für den Tag, an dem wir ins Training zurückkehren. Ich habe das vom Verein erstellte Trainingsprogramm befolgt. Der Ex-Keeper des FC Barcelona, José Pinto, hat mich dazu inspiriert, das Training mit Springseil wieder aufzunehmen. In der Zwischenzeit war ich mit meiner Frau jeden Tag im heimischen Fitnessstudio. Es ist gut, jemand zu haben, der einen beim Training begleitet. Das macht alles einfacher und hält dich motiviert. 

Ab und zu hatte ich das Gefühl, dass ich den Ball am Fuß brauche. Ohne ihn werde ich verrückt! Wenn ich so etwas gespürt habe, ging ich in den Garten, um den Ball ein bisschen in der Luft zu halten. Ich wollte einfach dieses Gefühl wieder haben.

Das Training hat mir geholfen, mich von der Situation zu lösen, die wir gerade erleben. Zwei Stunden pro Tag macht man nur Sport, und obwohl man hart arbeitet, lädt man seine Batterien auf. Das ist gut für die Psyche.

Natürlich vermisse ich auch den Fußball. Die Leute haben immer gelacht, wenn ich ihnen gesagt habe, dass ich keine Ahnung von Fußball habe. Das liegt daran, dass ich nicht viel Fußball schaue, nur wenn große Spiele stattfinden oder wenn ein Spiel stattfindet, das mich interessiert, weil ein Freund dabei ist. Aber ich vermisse wirklich den Geruch des Rasens.

Ich würde gerne wieder auf dem Platz stehen und Fußball spielen, das tun, was wir am meisten lieben, und für das kämpfen, wofür wir kämpfen müssen. Wir sind in der Endphase der Saison, und es ist schade, dass alles aufgehört hat. Aber im Moment hat der Fußball keine Priorität. Wir müssen die Einschränkungen respektieren. Wir sind keine Ausnahme. Niemand ist das.

Wenn wir die Anweisungen der Regierung respektieren und befolgen, werden wir bald wieder zur Normalität zurückkehren.

Bleibt gesund!

 

– Marc “

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