Barças Probleme mit und ohne Ball: Der Clásico in der Taktikanalyse

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Eine Halbzeit lang machte es der FC Barcelona gut, brach dann aber gegen ein gut pressendes Real Madrid ein. Gegen den Ball gab es dabei beim FC Barcelona nichts Neues, in Ballbesitz war man plötzlich zahnlos. Der Clásico in der ausführlichen Taktikanalyse.

Es ist noch gar nicht so lange her, da wussten die Fans vor dem Spiel, was sie fußballerisch erwarten würde – einzig der Ausgang der Partie schien offen. Der FC Barcelona das dominante Team, welches mit viel Ballbesitz versucht, kontrolliert zu Torchancen zu kommen – ganz nach der Spielphilosophie des Vereins. Real Madrid dagegen die Mannschaft, die über Konter ihrer millionenschweren Starstürmer vereinzelt Nadelstiche setzen wollte.

Schaut man rein auf den Spielbericht (Barça mit 56 Prozent Ballbesitz und 90 Prozent Passquote), scheint sich zumindest an der Rollenverteilung nichts geändert zu haben. Dem aufmerksamen Zuschauer des Spiels wird jedoch anderes aufgefallen sein.

In Ballbesitz wenig Neues

Barça startete ähnlich zum Spiel in der Champions League in Neapel mit Arturo Vidal auf rechts. Arthur durfte für den enttäuschenden Ivan Rakitic auf der Achterposition starten und Jordi Alba gab sein Comeback als Linksverteidiger. Ansonsten war die Startaufstellung aufgrund der vielen Verletzungen und dem nicht allzu großen Kader erwartbar gewesen.

Taktisch gab es ebenfalls keine großen Überraschungen. Arturo Vidal agierte im Vergleich zum Champions-League-Auftritt am Dienstag nicht ganz so breit am Flügel, sondern bewegte sich vorrangig im rechten Halbraum. Für die Breite sorgten jeweils Jordi Alba auf der linken sowie Nelson Semedo auf der rechten Seite. Beide Außenverteidiger wurden immer wieder nach kleinräumigen Kombinationen per Verlagerung gesucht und sollten einige Durchbrüche zum Flügel kreieren. Das gelang auf der linken Seite deutlich besser, da Alba ein besseres Timing für seine Tiefensprints besitzt.

Außerdem wurde die rechte Seite meist durch Messi und den im Bewegungsspiel ziemlich kopflos agierenden Vidal besetzt. Somit hatte Semedo kaum Platz, um mit seinem Tempo hinter die Abwehr zu kommen.

Im Spielaufbau tat sich Sergio Busquets hervor, der eines seiner besten Spiele der Saison absolvierte (und zum Barçawelt MOTM avancierte). Er war der Startpunkt jedes vielversprechenden Barça Angriffes, löste Pressing-Szenen Reals mit kleinen Dribblings und spielte einige hervorragende Bälle hinter die Abwehr, wie z.B. bei Messis Großchance in der 38. Minute.

Gegen den Ball bei Barça nichts Neues

Im Pressing spielte Barcelona gegen den Ball so im 4-4-2. Vidal sortierte sich dafür rechts in die Vierer-Mittelfeldreihe ein, während de Jong diesen Part auf der linken Seite übernahm. Messi und Griezmann agierten als Doppelspitze. Nach einigen Angriffspressing-Szenen zu Beginn des Spiels, deren Erfolg maßgeblich davon abhing, ob Messi sich beteiligte oder nicht – meistens tat er es nicht – sortierten sich die Katalanen in einem Mittelfeldpressing ein.

Dabei zeigten sich das Team Setiéns äußerst passiv und bekamen – abgesehen von Busquets – kaum Zugriff im Mittelfeld. De Jong, Arthur und Vidal begangen insgesamt sieben Fouls. Dem gegenüber standen insgesamt drei (!) Ballgewinne, von denen laut whoscored.com kein einziger Ballgewinn durch einen gewonnenen Zweikampf zustande kam.

Bezeichnend für das passive Pressingverhalten der Katalanen war auch, dass Real Madrid mit 88 Prozent Passquote sogar mehr Pässe an den Mann brachte als sonst durchschnittlich in der Saison.

Zidane vertraut auf Marcelo

Die Madrilenen überraschten durchaus mit ihrer Aufstellung. Toni Kroos wurde nach seinem Bankplatz im Spiel gegen Manchester City wieder in die Startaufstellung beordert. Starten durfte er neben Fede Valverde, dem diese Saison der große Durchbruch in der Mannschaft gelang.

Die größte Überraschung war jedoch die Aufstellung Marcelos, der diese Saison wenig Spielzeit bekam. Der kreative Linksverteidiger sollte den dribbelstarken, aber im Endprodukt instabilen Vinicius Junior offensiv unterstützen.

Die Grundformation Madrids war ebenso ein schiefes 4-4-2. Schief deshalb, weil Vinicius Junior einen klaren linken Flügelspieler gab, Karim Benzema als Mittelstürmer agierte, während auf der rechten Seite Fede Valverde im rechten Mittelfeld spielte. Isco zeigte sich gewohnt umtriebig und driftete frei – meistens jedoch halblinks – umher auf dem Spielfeld. Sein Ziel war, möglichst oft ballnah für Überladungen zu sorgen und kleinräumige Kombinationen zu unterstützen.

Benzema ließ sich gewohnt oft aus seiner Position fallen, um für Anspiele zwischen den Linien erreichbar zu sein. Anschließend trug er den Ball nach vorne, um schließlich einen der beiden Flügelspieler anzuspielen.

 

Madrid anfänglich zu passiv gegen den Ball

Der Hauptstadt-Klub tat es Barcelona gleich und agierte (zuerst) verhältnismäßig passiv gegen den Ball. Dabei nahm Isco – der im offensiven Mittelfeld platziert war – situativ Mannorientierungen auf Busquets auf, sodass aus dem 4-4-2 ein 4-1-4-1 wurde.

Diese Mannorientierungen waren das prägende Element im Pressing Madrids: Kroos kümmerte sich um Arthur oder Busquets, Valverde positionierte sich gegen den Ball deutlich zentraler und übernahm de Jong. Rechtsverteidiger Carvajal schob hoch auf Jordi Alba. Casemiro agierte als absichernder Sechser dahinter, der nur vereinzelt Mannorientierungen auf einen der Achter aufnahm.

Nachdem es anfangs nach einem Angriffspressing Reals aussah, sortierten sich die Madrilenen nach 10-15 Minuten in einem passiven Mittelfeldpressing ein.

Dominante Phasen beider Mannschaften

Barcelona kam das passive Verhalten der Madrilenen entgegen. Ab der 20. Minute übernahmen sie die Spielkontrolle und drückten Madrid hinten rein. In einzelnen Szenen waren gar alle elf Spieler der Hausherren im eigenen ersten Drittel, ohne jedoch Zugriff auf Barças Spiel zu bekommen.

Die Katalanen erspielten sich in der Zeit einige hochkarätige Torchancen, die jedoch in Person von Arthur, Griezmann und Messi vergeben wurden. Vielversprechend zeigten sich vor allem Angriffe über das Zentrum, bei denen der Gegner erst angelockt und dann einer der nachrückenden Spieler, ob auf dem Flügel oder im Zentrum, bedient wurde.

Die 2. Halbzeit gehört Real

Schließlich ging es jedoch mit einem 0:0 in die Pause, was Barça nach einem ordentlichen Auftritt nicht allzu sehr geschmeckt haben dürfte. Nach der Halbzeitpause meldeten die Madrilenen erste Ansprüche an. Real presste von nun an deutlich höher, wobei Torwart der Stegen der einzig freie Spieler Barcelonas war.

Barça zeigte große Probleme im sauberen Überspielen des Pressings. So waren die Blancos ab der 50. Minute die stärkere Mannschaft, die nach Umschaltsituationen und hohen Ballgewinnen zu guten Torchancen kam. Die Katalanen hingegen kamen kaum noch zu Entlastung, bis Martin Braithwaite in der 69. Minute eingewechselt wurde.

Der dynamische Flügelspieler zeigte in seinen ersten beiden Szenen unmittelbar nach der Einwechslung, was er dem Team geben kann: Tiefensprints hinter die Abwehr. Mit seinem Tempo bereitete er der Abwehr der Madrilenen direkt Probleme und erzielte sogar fast ein Tor.

Zwei Minuten später jedoch zeigte er, weshalb Setién vermutlich nicht von Beginn auf ihn vertraut hat: Beim Pass von Kroos (der so viel Zeit am Ball hatte, dass er mehrere Sekunden lang den Laufweg seiner Mitspieler ansagen konnte) verlor Braithwaite den durchstartenden Vinicius Jr. völlig aus den Augen. Kroos spielte den Ball durch die innere Linie, Vinicius war frei durch zum Tor und brachte den Ball abgefälscht vom zu passiv agierenden Piqué aus spitzem Winkel im Tor unter – 1:0.

Barcelona in Ballbesitz hilflos

Mariano Diaz’ Tor in der Nachspielzeit zum 2:0 war letztlich nur noch Kosmetik. Real Madrid bezwang den FC Barcelona nach einer stärkeren zweiten Halbzeit mit 2:0 – weil Barcelona nach einem guten ersten Durchgang nach der Pause eine schwache Leistung ablieferte. Nicht nur zeigten sich die bereits lang andauernden Probleme Barças gegen den Ball – nein, im eigenen Ballbesitz schienen die Katalanen nahezu verunsichert ob des hohen Pressings der Madrilenen.

Dabei war Madrids Pressing nicht einmal besonders gut; ter Stegen stand nie unter Druck und die Mannorientierungen der Achter ließen sich mit einfachen Bällen ins Zentrum und anschließendes Klatschen-Lassen auf den ballnahen Innenverteidiger überspielen.

Augenscheinlich reichten die Aufbauvarianten Barcelonas jedoch nicht, um stabil in Ballbesitz zu bleiben. Selbst unter geringem Druck unterliefen den Spielern unheimlich viele Fehler, die nicht direkt auf die Struktur der Katalanen zurückzuführen waren. Falsche Entscheidungen, technische Fehler – was unter Valverde noch als Nachlässigkeit bezeichnet worden war, ist inzwischen Hilflosigkeit der Spieler.

Quique Setién ist in der Pflicht

Gegen den Ball ist Setién ebenfalls gezwungen, sich etwas zu überlegen. Griezmann und Messi als Doppelspitze funktionieren nicht, weil Messi sich schlichtweg zu wenig bewegt. Es wäre vermutlich effektiver, Griezmann als alleinige Spitze anlaufen zu lassen, damit er sich gar nicht erst auf Messi im Pressing verlässt.

Taktisch gute Trainer werden außerdem ebenfalls ein Gegenmittel gegen die immer wiederkehrenden Mannorientierungen im zentralen Mittelfeld finden. Selbst Madrid, welches mannschaftstaktisch nicht allzu stark ist, hätte wahrscheinlich noch mehr Schäden anrichten können, wenn Busquets und Semedo keinen Sahnetag erwischt hätten.

Das Ganze an Setién festzumachen, ist sicher der falsche Weg. Seit Jahren werden in den höheren Etagen nicht nachvollziehbare Entscheidungen in der Kaderplanung getroffen. Der neue Trainer ist Opfer der schlechten Personalpolitik Barcelonas, auf den meisten Positionen besitzt er kaum adäquate Wechseloptionen.

Daher muss aus dem vorhandenen Spielermaterial das Beste herausgeholt werden. Kann Setién junge Spieler integrieren? Gelingt es ihm, dem Team mehr taktische Optionen zu geben? Kann er mit den alternden Messi, Busquets, Piqué, Rakitic und Alba überhaupt den Fußball spielen lassen, den er sich vorstellt?

Die Antworten auf diese Fragen werden bestimmen, ob Barcelona in dieser Saison einen Titel gewinnen kann – oder Real Madrid nicht nur den Clásico, sondern am Ende auch die Meisterschaft gewinnt.

 

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Henri Hyna, der für Cavanis Friseur über Taktik bloggt. Ihr könnt ihm auf Twitter folgen.

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