Das Tiki Taka am Ende? Nein, die Barça-Spieler sind es!

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Nach der Niederlage Spaniens gegen Chile und dem damit verbundenen Ausscheiden aus der WM schon in der Vorrunde sind feurige Diskussionen darüber entfacht, ob das ‘Tiki Taka’ den Anforderungen des modernen Fußballs noch gerecht wird. Für die Medien bot sich die Möglichkeit einer Schlagzeile, die nur viele allzu gern lesen würden. Daneben gab es von anderer Seite aber auch den Versuch, das Tiki Taka vor unberechtigter Verunglimpfung zu bewahren und die zeitlosen Vorzüge hervorzustreichen. Ich für meinen Teil möchte den Fokus vor allem auf die Spieler legen und eine Tendenz im Fußball aufzeigen, die mein Verständnis von dieser Spielart mit all seinen Vorzügen beträchtlich erschüttert, wenngleich noch lange nicht begräbt.

Was ist Tiki Taka?

Viele reden davon, doch vielfach aneinander vorbei. Denn es fehlt zurzeit eine griffige Definition des Tiki Taka, die Grundvoraussetzung einer gegenständlichen Auseinandersetzung sein kann. Für die Medienlandschaft steht Tiki Taka stellvertretend für eine Spielweise des langwierigen Hin- und Herschiebens des Balles, ohne dass es zu einem nennenswerten Raumgewinn kommt. Andere wiederum verwässern die Konturen völlig, indem sie Tiki Taka nicht nur als Teil einer Spielphilosophie, sondern als Spielweise schlechthin begreifen und Pressing, Gegenpressing und sogar Konter als Untermenge des glanzvollen Begriffs hinstellen. Beim FC Barcelona sind viele dieser Elemente zeitgleich in Erscheinung getreten, das muss zugestanden werden. Gleichwohl waren die Katalanen stets Verfechter des Totaalvoetbal, das Tiki Taka ist als Element erst nachträglich hinzugekommen, um den grundlegenden Matchplan zu perfektionieren.

Meiner Meinung nach sollte bei der Auslegung von Tiki Taka an dem Wortgehalt festgehalten werden: Es orientiert sich vor allem am Passspiel, das die absolute Hoheit und Kontrolle auf dem Spielfeld als Zielrichtung hat. Der Ball sollte niemals unkontrolliert nach vorne geschlagen werden, der Anspruch ging immer dahin, eine spielerische, auf kurzen Passstafetten aufbauende Lösung zu wählen, mittels derer Raum und Gegner kontrolliert werden konnten. Auf diese Weise funktionierte das Aufbauspiel aus der Abwehr heraus, das Mittelfeld dominierte Barça wie kaum eine andere Mannschaft, und im letzten Spielfelddrittel wartete man geduldig den finalen Schlag ab, bis sich eine Gelegenheit bot. Alles war darauf ausgerichtet, optimale Bedingungen für eine spielerische Lösung zu schaffen, die im Gegensatz zum Kampf um den Ball stand. Darauf konzentrierten sich Guardiolas kollektiv-taktische Maßnahmen, nicht zuletzt die Einführung der Falschen Neun. In Verbindung mit den anderen Elementen des Barça-Spiels funktionierte das Tiki Taka hervorragend und fügte sich nahtlos ein in die ‘Kunst des schönen Spiels’.

Das Offensivpressing – Mittel zur Unterdrückung

Schon damals war das Spiel mit einem Makel behaftet, der über die Jahre zunehmend in Erscheinung getreten ist. Das Selbstverständnis einer Mannschaft, alles über kurze, schnelle Pässe zu regeln, koste es, was es wolle, macht sie angreifbar. Es braucht für diese Spielart nämlich bestimmter Spielertypen, die in ihrer Paradedisziplin, dem schnellen Passspiel, One-Touch-Football, unerreicht sind, in anderen Bereichen aber deutliche Defizite aufweisen. José Mourinho erkannte früh, dass seine destruktive Strategie gegen den FC Barcelona nicht die optimale Wahl war. Seine Mannschaft machte eine 180-Grad-Kehrtwende und verteidigte auf einmal hoch, weil sich die Katalanen wie kaum eine andere Mannschaft für ein Offensivpressing eigneten. Sie würden den Ball nicht einfach hoch hinaus spielen, sondern auch unter hohem Druck die spielerische Lösung suchen. Und selbst wenn sie es täten, beim Kampf um den ersten und zweiten Ball wären sie naturgemäß unterlegen. Es verging kein Clásico mehr, in dem man als Anhänger des FC Barcelona nicht viele zittrige Momente über sich ergehen lassen musste, die aus einem Angriffspressing der Madrilenen herrührten.

In der Zwischenzeit haben sich Fußball und Spieler weiterentwickelt. Heutzutage ist es auf hohem Niveau nur noch schwer möglich, das halbe Spielfeld allein mit spielerischen, kunstvollen Passstafetten zu überbrücken und sich im Anschluss hieran im letzten Drittel festzusetzen. Das lässt ein starker Gegner mit antrittsstarken, physisch in mehrfacher Hinsicht überlegenen Spielern mit ausgefeilter Pressing-Strategie nicht mehr zu. Das Pressing hat eine neue Qualität erreicht, und es ist das ideale Instrument, um die Schule des Tiki Taka in die Schranken zu weisen. Solche Mannschaften müssen sich dann nämlich auf ein Spiel einlassen, das ihnen überhaupt nicht liegt. Die permanente Verwicklung in Zweikämpfe und der Kampf um die ersten und zweiten Bälle sind nicht das Metier der Barça-Spieler. Ein Spiel, das diesen Verlauf nimmt, zermürbt sie und beraubt die Akteure ihrer eigentlichen Fähigkeiten.

In der abgelaufenen Saison ist Barça gleich in zwei Wettbewerben gescheitert, weil sich die Mannschaft des starken Pressings und Gegenpressings seitens Atlético Madrid nicht erwehren konnte. Im Champions-League-Viertelfinale fegte Atlético über Barça her, wie man es selten von einem Gegner gesehen hat. Situative Manndeckung und ein hohes Pressing – das reichte aus, um einige hochkarätige Torchancen herauszuspielen. Barça unternahm den Versuch, das Offensivpressing spielerisch zu kontern, doch der Druck war schlicht zu groß. Auch beim Liga-Showdown im Camp Nou das gleiche Bild: 10-15 Minuten Pressing in der zweiten Halbzeit reichten Atlético aus, um den Meistertitel unter Dach und Fach zu bringen. Im Jahr davor zeigten die Bayern dem FC Barcelona mit ganz ähnlichen Mitteln die Grenzen auf. Und nun hat es Spanien getroffen, die zu keiner Zeit mit dem hohen Druck von Chile zurechtkamen. Bälle auf Diego Costa waren als Lösung angedacht, doch allein konnte dieser das Ruder nicht rumreißen. Die These lautet daher: Der Druck ist mittlerweile häufig so groß, dass man das Tiki Taka nicht mehr ohne Weiteres entfalten kann, ungeachtet des Spielfelddrittels. Sicher, Iniesta, Xavi und andere Spieler sind vielleicht nicht mehr auf der Höhe ihrer vollen Schaffenskraft. Dass das Geschehen der letzten Jahre ihren persönlichen Abbau zeichnet, glaube ich aber nicht. Sie haben mit ihrem Stil auf dem Platz einfach immer weniger Zeit, weniger Raum und dementsprechend weniger Spaß, was mental auch unglaublich aufreibend ist.

Spieler international überholt

Ich sage nicht, dass das Tiki Taka – so wie ich es verstehe – am Ende ist. Es ist meiner Meinung nach nicht das Problem. Dieses liegt vielmehr bei den Spielern, die international in entscheidenden Bereichen überholt werden. Es reicht nicht mehr aus, technisch stark, passsicher und in der Lage zu sein, diese Stärken im Kollektiv ausspielen zu können. Die Gegner drängen die Spieler in Disziplinen, in denen sie hoffnungslos unterlegen sind. Beim FC Barcelona ist die Struktur der Mannschaft unter dem Blickwinkel modernen Fußballs besonders fragwürdig geworden. Es fehlen moderne Spielertypen, die sowohl Gegendruck erzeugen können als auch den nötigen Feingeist und die Technik besitzen, um in weniger umkämpften Phasen des Spiels auch unter ästhetischen Gesichtspunkten – womöglich mit dem Tiki Taka – brillieren zu können. Es gibt Spieler, die das alles vereinen und ihren Mannschaften Optionen an die Hand geben, erfolgreich zu sein – Antrittsstärke, Kreativität, Technik und Passsicherheit. Erfolg wird in Zukunft mehr denn je davon abhängen, für möglichst viele Spielsituationen gewappnet zu sein. Der FC Barcelona braucht Optionen zum Passspiel, weil sich damit nicht alle Probleme auf dem Platz lösen lassen. Hierzu sind personelle Veränderungen zwingend erforderlich.

Alles in allem möchte ich nicht in den allgemeinen Abgesang des Tiki Taka einstimmen, sondern sehe darin eine Chance, zur rechten Zeit den richtigen Gegner dominieren zu können. Auf hohem Niveau ist die Luft aber dünn und die Mannschaften zu stark, als dass man sich nur darauf verlassen könnte. Gegen eine Mannschaft mit dem Format von Chile oder RB Salzburg – eine wahre Pressingmaschine, die Barça wohl auch in der Glanzzeit eiskalt weggefegt hätte – sähe es ohne personell einschneidende Änderungen wohl schlecht aus. Nur zur Klarstellung: Ich bin kein Fan von diesem Pressing-Wahn und sehe mir viel lieber Totaalvoetbal gepaart mit Tiki Taka an. Noch lieber wäre mir aber, wenn Barça wieder in die Erfolgsspur zurückfindet.

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