Spanien ist nicht Barca

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Zum dritten Mal in Folge steht die spanische Auswahl im Finale eines großen Turniers. Dort erwartet sie nun Italien. Angesichts des Auftretens der Spanier in den jüngsten Spielen stellt sich allerdings die Frage, ob sie auch in der Lage sein werden, den Titel zu holen. Die Furia Roja hat massive Schwierigkeiten, sich dem gegnerischen Tor zu nähern.

Von Raphael Lugowski

Viele „Alibipässe“

Dr. Doofenshmirtz, Barcawelt-Stammitglied, hat das Dilemma der spanischen Nationalmannschaft in der Shoutbox auf den Punkt gebracht: „Zu viele Alibipässe“. Tatsächlich verfestigt sich der Eindruck zunehmend, dass die Spieler das Risiko scheuen und horizontalen Ballstaffetten gegenüber dem schnellen vertikalen Spiel den Vorzug geben. Sinnbildlich die Abschlussversuche außerhalb des Sechzehners von Fabregas, die Ausdruck der fehlenden Bereitschaft der Spieler sind, die Wege in Richtung des Tores zu unternehmen. Ungeachtet der taktischen Ausrichtung der Portugiesen in Verbindung mit ihrem aufopferungsvollen Einsatz, das Spielfeld lückenlos zu hinterlassen, macht sich das Team von del Bosque das Leben unnötig schwer.

4-3-3 kann unterschiedlich interpretiert werden

Vielfach wird von Experten und Spielern auf die Parallelen zwischen der Spielweise von Barca und Spanien aufmerksam gemacht. Doch auf welche Gemeinsamkeiten genau spielen diese Personen an? Beide Mannschaften praktizieren das Tiki Taka, das muss zugestanden werden. Doch darüber hinaus unterscheidet sich die Spielweise beider Mannschaften beinahe fundamental. Die Tatsache, dass beide Mannschaften in einem 4-3-3 agieren, eine Vorliebe für die falsche Neun haben und über offensive Außenverteidiger verfügen, sagt für sich genommen noch gar nichts über die konkrete Spielweise aus. Entscheidend ist vielmehr, welche Spieler auf dem Feld welche Aufgaben übernehmen und vor allem wie sie das tun. Das Mittelfeld beim FC Barcelona wird im günstigsten Fall von Busquets, Xavi und Iniesta gebildet. Es besteht eine eindeutige Aufgabenteilung zwischen diesen Spielern. Vor ihnen agiert Messi als falsche Neun und die Flügel werden besetzt von Villa, Pedro, Sanchez, Cuenca oder Tello.

Del Bosques Vorliebe für inverse Flügelspieler(Spielmacher)

Bei Spanien hingegen wird das Barca-Mittelfeldtrio um den Akteur Xabi Alonso erweitert. Die zentrale Sturmposition wird alternativ bekleidet von Fabregas als falsche Neun oder einem echten Stürmer wie Torres. Auf dem rechten Flügel findet sich Silva und auf der Gegenseite Iniesta, zumindest formell. Tatsächlich ist Iniesta zumeist auf seiner angestammten Barca-Position anzutreffen, also auf halblinks und gestaltet das Spiel mit Busquets/Xavi/Alonso. Das ist der erste gravierende Unterschied zwischen den Mannschaften, bei Spanien fehlt auf links ein klassischer Flügelstürmer, während der FC Barcelona sehr häufig mit diesem Spielertypen auf dem linken Flügel aufwartet. Dort können dann schöne Dreiecke gebildet werden, z.B. bestehend aus Iniesta, Pedro, Adriano. Bei Spanien sieht man hingegen diese Formation auf dem linken Flügel eher selten. Meist sind Iniesta und Alba in der Unterzahl und müssen den Ball wieder zurück spielen. Das änderte sich freilich mit der Einwechslung von Pedro.

Silva und Arbeola – Die Garantie für die Verwaisung des Flügels

Auf dem rechten Flügel besitzt der FC Barcelona viel mehr Möglichkeiten und wesentlich mehr Offensivpower als die Spanier. Auf rechts stellt del Bosque standardgemäß Silva als inversen Flügelstürmer und Arbeola als offensiven Außenverteidiger auf. Während Silva sich regelmäßig jenseits seiner angestammten Position aufhält und auch mal ganz die Seite wechselt, um den linken Flügel mit Iniesta und Alba zu überladen, wird Arbeola mangels Offensivqualitäten nicht einmal von den eigenen Mitspielern ernst genommen. Die Kombination dieser beiden Aspekte ergibt eine Verwaisung bzw. bewusste Nichtberücksichtigung des rechten Flügels. Dies ist bei Barca schlechthin undenkbar. Sofern ein inverser Flügelspieler(Sanchez z.B.) aufgestellt ist und sich überwiegend im Zentrum aufhält, sorgen Alves oder Montoya dafür, dass der rechte Flügel weiterhin anspielbar bleibt und am Spiel teilnimmt. Ist hingegen auch noch ein klassischer Flügelstürmer aufgestellt, sorgt er für gewöhnlich mit Alves zusammen für den nötigen Betrieb in diesem Bereich des Spielfelds.

Spanien hat keinen Dani Alves

Welche Auswirkungen ergeben sich hinsichtlich dieser Beobachtungen auf dem Spielfeld? Nun, das Spiel des FC Barcelona ist wesentlich breiter angelegt als das der Spanier und die Optionen, die dem Copa del Rey Sieger zur Verfügung stehen, sind fast unerschöpflich. Aus diesem Grund kommt der FC Barcelona auch gegen engstehende, aggressiv verteidigende Mannschaften zu guten Tormöglichkeiten, selbst dann, wenn das eigene Spiel nur wenig berauschend ist. Die gute Breite im Spiel nötigt den Gegner zu längeren Wegen, um die Lücken dynamisch zu schließen, was wiederum zur schnelleren Verausgabung führt. Auch kann er keinesfalls über die gesamte Spielzeit fehlerlos agieren. Die Verdichtung der Spieler im Zentrum und auf dem linken Flügel einhergehend mit der fehlenden Gefahr, die vom rechten Flügel herrührt, bereitete den Spaniern massive Schwierigkeiten. Natürlich kann man diesen Problemen teilweise abhelfen, und die vorstehenden Ausführungen gelten unter dem Vorbehalt der Zugrundelegung der präferierten Aufstellung von del Bosque. Einen Typen wie Dani Alves kann del Bosque allerdings nicht aufbieten.

Spaniens Zug in Richtung Tor steht und fällt mit Iniesta

Den größten Unterschied zwischen den Mannschaften kann man aber primär im Mittelfeld verorten. Zu diesem zählen bei Spanien Xavi, Busquets, Alonso, Iniesta und Silva. Klangvolle Namen, keine Frage. Doch selten präsentierte sich das spanische Spiel so statisch wie bei dieser EM. Kaum einer von ihnen machte den vertikalen Weg hin in Richtung Tor, alle beschränkten sich darauf, das Spiel in der Horizontalen zu ermöglichen. Prädestiniert für diese Wege ist für gewöhnlich Iniesta. Mit seinen Sololäufen und Finten schafft er Räume für seine Mannschaftskameraden. Fällt dieser Ausnahmefußballer aber weg, wird es zäh. Den Portugiesen ist es mit einer aggressiven Defensivleistung gelungen, die Wege von Iniesta deutlich zu beschränken. Aufgrund seiner fehlenden Athletik und dem kaum vorhandenen Raum wäre es gegen die Portugiesen eine Preisegabe des Ballbesitzes, es allein zu versuchen. Darum war es klug von Iniesta, sich zurückzuhalten. Darunter litt die Performance der Spanier aber erheblich. Der Ball wurde zuweilen ewig hin- und hergeschoben, ohne ernsthaften Raumgewinn. Busquets, Alonso und Xavi haben viele Sache gemeinsam, aber eine ist besonders fatal für das spanische Spiel. Sie mögen es nicht, vertikale Wege gehen zu müssen. Eigentlich sollte Xavi als eine Art zehn fungieren. Je länger das Turnier dauerte und mit jedem Spiel die Unannehmlichkeiten infolge der aggressiv defensiven Grundhaltung zunahmen, desto weiter zog sich Xavi zurück und griff damit in fremde Aufgabenbereiche ein. Seiner Aufgabe hingegen hat sich niemand angenommen.

Der Messi-Faktor

Damit entstehen aber unnötige Doppelungen im Mittelfeld und gleichsam fehlen Spieler für ein Aufbauspiel im letzten Spielfelddrittel. Die Konzentration an ähnlichen defensiv geprägten Aufbauspielern hat zudem noch einen weiteren Nachteil. Die Spieler machen sich die Räume gegenseitig streitig und fördern die allgemeine Problematik damit noch unnötig. Beim Klub von Neutrainer Tito Vilanova stellt sich die Situation anders dar. Die Raumverteilung zwischen Iniesta, Xavi und Busquets ist klar definiert. Mangels einer „Doppelsechs“ im Mittelfeld kann die frei gewordene Position an echte Stürmer vergeben werden, die durch ihre Laufwege nach hinten als „Bandenspieler“ ein vertikales Spiel überhaupt erst ermöglichen. Ein Faktor wurde bisweilen aber komplett außer Acht gelassen. Wenn es um die schnelle Überbrückung der gegnerischen Hälfte geht, dann ist Messi der richtige Ansprechpartner. Immer wieder lässt er sich ins Mittelfeld zurückfallen, umspielt die gegnerischen Defensivreihen mit klugen Doppeldoppelpässen, begibt sich zwischen die Ketten und macht einen Zugriff auf ihn beinahe unmöglich. Diese Qualität besitzt Fabregas natürlich nicht, er hat andere Stärken. Aber es ist nur unschwer vorstellbar, wie sich das spanische Spiel verändern würde, wenn man sich Messi zur Mannschaft hinzudenkt.

Fazit

So, wie Spanien zurzeit spielt, sind sie weit entfernt von dem Barca-Modell. Del Bosque könnte sich diesem Modell durch die Einwechslungen von Pedro und Navas annähern, eine komplette Implementierung ist aber schon aufgrund des Fehlens von Spielern wie Messi und Alves kaum möglich. Auch die von del Bosque favorisierte Mittelfeldbesetzung steht einem Systemgleichlauf entgegen. Gegen gut stehende Gegner wie Portugal wird sich Spanien immer schwer tun, wenn del Bosque nicht entsprechend reagiert. Das tat er recht spät gegen Portugal mit der Einwechslung von Pedro und Navas, die sogar C. Ronaldo als gut erachtet hat. Jetzt geht es gegen Italien, einem Gegner, der die vorstehenden Ausführungen zumindest vorläufig hinfällig macht. Denn die Italiener werden ihr Glück in der Offensive suchen und keinesfalls aggressiv verteidigen, so viel steht fest. Das aber wiederum liegt den Spaniern mehr, weil sie dann über Spieler wie Iniesta relativ leicht vor das Tor kommen.

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