Kroatien gegen Spanien – Rückblick

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Quelle: Patrik Stollarz/AFP

Man könnte in Schockstarre fallen, wenn man bedenkt, wie der gestrige Abend hätte ausgehen können. Nur ganz knapp entging der Welt- und Europameister einer Katastrophe und zeigte gemessen an seinem Leistungspotenzial eine bescheidene Darbietung. Das Spiel der Spanier war zu leicht ausrechenbar für einen starken Gegner wie Kroatien. Mit einfachen aber effektiven Mitteln wurden Xavi und Iniesta in Schach gehalten.

Von Raphael Lugowski

Spanien mit vielen Ballverlusten

Der Kapitän der spanischen Auswahl hatte vor dem Aufeinandertreffen mit den Kroaten gewarnt und dabei insbesondere ihre Qualitäten im Offensivspiel hervorgehoben. Jedem, der das Spiel am Vortag in voller Länge verfolgt hat, sollte bewusst sein, wovon Xavi im Vorfeld sprach. Mit schnellen und zielstrebig vorgetragenen Kontern brachte der Gegner das Team von del Bosque an den Rand einer Niederlage. Dass der Kopfball von Rakitic in der zweiten Halbzeit nicht platzierter kommt, ist dem purem Glück geschuldet. Unterschlagen hat Xavi allerdings andere Fertigkeiten von Kroatien, die in diesem Umfang nicht zu erwarten waren. Mit einer unglaublichen taktischen Disziplin traten sie dem Turnierfavorit gegenüber und ließen sie verzweifeln. Unverhältnismäßig schnell verloren die Spanier ihren Ballbesitz bei dem Versuch, über Kombinationen im Zentrum zum Erfolg zu kommen.

Kroaten eng gestaffelt

Dort nämlich war überhaupt kein Platz vorhanden, um damit zum Erfolg zu kommen. Platz ist in der kleinsten Hütte, sagt man. Nicht so gegen Kroatien. Mit zwei extrem eng stehenden Ketten empfingen sie Spanien und machten nahezu jedem Spielaufbau ein jähes Ende. Der Abstand zwischen den kroatischen Spielern war so minimiert, dass Zuspiele in die Halbräume schlichtweg unmöglich waren. Auch Schnittstellenpässe zwischen die Abwehrspieler waren zu keiner Zeit ein probates Mittel gegen diesen Gegner. In der Theorie ergeben sich aus extrem eng stehenden Ketten Folgen für die Flügel. Rücken die Spieler nämlich nah aneinander, können sie nicht mehr die gesamte Spielfeldbreite abdecken, wodurch dem Gegner ermöglicht wird, durch schnelle Seitenwechsel in offene Räume vorzustoßen. Diesem potenziellen Problem begegnete der Trainer der kroatischen Nationalmannschaft mit zwei Stürmern, die situativ mit nach hinten arbeiteten und die Mittelfeldspieler unterstützten. Dadurch ergaben sich für die Spanier diese Räume erst gar nicht, was ihnen offensichtlich nicht sehr behagte.

Rechter Flügel nicht präsent

Verschärft wurde diese Schwierigkeit für die spanische Auswahl durch die fehlende Präsenz auf dem rechten Flügel. Arbeola ist kein klassischer Flügelspieler und wird von den Mitspielern ebenfalls nicht als solcher angesehen. Nur selten und dem Anschein nach sehr widerwillig wird er in die Angriffsbemühungen miteinbezogen. Und wenn er an den Ball kommt, bestätigt er zumeist diese Sichtweise. Arbeola hat nun mal seine Qualitäten in der Defensive, weniger in der Offensive. Der Umstand, dass Silva liebend gern ins Zentrum zieht oder aber gänzlich den Flügel wechselt, um diesen dann zu überladen, ist auch nicht gerade förderlich für die offensive Entfaltung des Akteurs von Real Madrid. Die Kroaten konnten demnach die aus ihrer Perspektive linke Seite vernachlässigen und sich überwiegend auf das Zentrum und die rechte Seite konzentrieren, wo mit Jordi Alba und Iniesta ein größeres Gefahrenpotenzial vorhanden war. Mit der Einwechslung von Jesus Navas im Verlauf des Spieles sollte auch der rechte Flügel eine Belebung erfahren.

Xavi sucht Räume

Aber nicht nur die extrem breite komprimierte Aufstellung des Gegners stellte Spanien vor eine Herausforderung, sondern gleichfalls die Grundhaltung der Kroaten. Der ballführende Spieler wurde auf Höhe der Mittellinie immer sofort angegangen, um ihm wenig Zeit und Raum zu geben, Ideen zu entfalten. Daraus resultierten viele Ballverluste kurz hinter der Mittellinie und ein Spielfluss wie gegen die Iren konnte nie wirklich zustande kommen. Einem Spieler setzten die fehlenden Räume und die aktive Ausrichtung des Gegners besonders zu. Nur in der Anfangsphase der Begegnung suchte Xavi sein Glück in den Zwischenräumen, zog sich dann aber aufgrund der Aussichtslosigkeit des Unterfangens aus den Halbräumen zurück, um mehr Bindung zum Spiel zu bekommen und es von hinten heraus in Angriff zu nehmen. Selbst um den Mittelkreis herum hatte Xavi jedoch Schwierigkeiten, weil ihn die Gegenspieler in Bedrängnis brachten und darüber hinaus im Zentrum auch nicht die Lösungen zu finden waren. Aus diesem Grund wich er nach rechts und links aus, um sich Freiraum zu verschaffen.

Torres ohne Bezug zum Spiel

Optimal ist diese positionelle Struktur mit Sicherheit nicht. Xavi kann seine ganze Klasse nur im Zentrum zeigen. Hält er sich dagegen eher rechts oder links auf, wird es in vielfacher Hinsicht kritisch. Zum einen können schnelle Spielerverlagerungen damit nicht mehr gewährleistet werden. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn Busquets oder Alonso nicht in die horizontale Linie zu Xavi rücken, sondern versetzt hinter ihm agieren. Es fehlt dann der horizontale- und vertikale Verbindungsspieler im Zentrum. Zum anderen läuft man Gefahr, unnötige Spielerdoppelungen zu erzeugen im Hinblick auf die Aufgabenverteilung auf dem Spielfeld. Wenn Xavi sich zurückzieht und ein wenig versetzt agiert, stehen dem Grunde nach drei Spieler auf dem Platz, die ähnliche Aufgaben wahrnehmen. Ein Verbindungsspieler zwischen Offensive und Defensive fehlt dann allerdings, was sich gestern auch daran zeigte, dass Torres sich zurückfallen ließ oder aber auf die Flügel auswich, um irgendeinen Bezug zum Spiel zu bekommen.

Jordi Alba ist nicht Sergio Ramos

Wie hätte man Xavi den nötigen Raum verschaffen können? Eine Option bestand darin, das Spiel auseinanderzuzerren und die „Pendelspieler“ des Gegners damit noch mehr pendeln zu lassen, sodass sie schneller ermüden. Insgesamt zeigt das Spiel Spaniens immer noch zu wenig Breite. Wenn man sich die Auftritte bei der vergangenen WM oder EM vergegenwärtigt, war Sergio Ramos primär dafür zuständig. Durch den Ausfall von Puyol sah sich del Bosque gezwungen, Sergio Ramos als Innenverteidiger aufzustellen. Diesen Verlust an Breite erhoffte sich del Bosque durch Jordi Alba zu kompensieren, einem offensiven Außenverteidiger mit viel Zug nach vorne. Nach jetzigem Stand ist Jordi Alba allerdings nicht das gewünschte Äquivalent zu Sergio Ramos. Die linke Seite ist nicht so präsent Ramos auf dem rechten Flügel seinerzeit. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass auf links Iniesta präsent ist, ein inverser Flügelspieler/Zentrumspieler, sodass für Alba die Option Iniesta aussichtsreicher erscheint als die Option Grundlinie. Del Bosque muss sich jedenfalls etwas einfallen für den Fall, dass sich der Gegner im Viertelfinale Anschauungsunterricht an der taktischen Disziplin der Kroaten nimmt.

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