Der FC Barcelona und La Masia: Wie Messi und Co. zu Weltstars wurden (2)

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Alle guten Dinge sind drei! Im dritten Teil unserer Artikelserie zu den Trainingsmethoden des Jugendbereiches des FC Barcelona wollen wir uns dem zweiten substanziellen Aspekt des katalanischen Spiels widmen. Neben dem Erlernen einer guten Technik zur Behauptung des Balles im engsten Raum ist ein weiterer wichtiger Faktor im Ballbesitzspiel der Blaugrana unverzichtbar, namentlich die gruppentaktischen Spielzüge der Spieler.

Um das Passspiel der Blaugrana in einer Partie in Worten beschreiben zu können, bedarf es wahrscheinlich hundert Bücherseiten, und am Ende läuft das Ganze auf ein einziges Wort hinaus: Kurzpassspiel. Über mehrere Stationen erstrecken sich die gefühlt niemals endenden Passstafetten der Katalanen, wodurch Spieler wie Xavi oder Iniesta oftmals auf über 100 Pässe pro Spiel kommen, eine Statistik, für die so mancher Spieler einen ganzen Fußballmonat benötigt.

Die Bedingungen, ohne die solche Stafetten nicht möglich wären, sind zum einen gezielt darauf koordinierte Übungen (auf die wir noch eingehen werden) und zum anderen eine taktische Anweisung des Trainers, nämlich das Überladen von strategisch relevanten Räumen auf dem Spielfeld. Das bedeutet, dass die Katalanen in diesen Räumen besonders viele Spieler positionieren und sich somit viele Passoptionen für den ballführenden Spieler ergeben. Die Positionierung der anderen Spieler, um eine Passoption darzustellen, ist eine eminent wichtige Aufgabe, unabhängig davon, ob nun in der U10-Mannschaft oder der ersten Mannschaft Barcelonas. Es ist die Dreiecksbildung untereinander, auf die wir nun genauer eingehen.

Dreiecke, Dreiecke und nochmals … Dreiecke

Zu Anfang der Jugendausbildung legen die Jugendtrainer besonders auf die Dreiecksbildung unter den Jungsprösslingen großen Wert. All die nachfolgenden und komplexer werdenden Übungen dienen lediglich dazu, diesen Automatismus im Kopf reifen zu lassen, um das gelernte Basiswissen auf spezifische Situationen anwenden zu können und die Bewegungsabläufe der Mitspieler in und auswendig zu erlenen.

  • Basisdreieck

Diese Übung soll die Grundkenntnisse der Dreiecksbildung verinnerlichen. In dieser Übung sind vier Spieler inkludiert, wir nennen sie jetzt einmal ganz simpel Spieler A, B, C und D. Spieler A passt den Ball in Richtung Spieler B und rennt kurz darauf auch in seine Richtung. Spieler D nimmt nun den Platz von Spieler A ein. Spieler B achtet darauf, den Ball mit dem ballfernen Fuß zu stoppen und gleich darauf sofort zu Spieler C weiterzupassen. Nun rennt Spieler B los in Richtung von Spieler C, wobei sein Platz von Spieler A eingenommen wird. Und dieses Prozedere zieht sich über mehrere Minuten in genau diesem Schema durch. Der Ball sowie einer der vier Spieler sollten im Normalfall immer in Bewegung sein. Neben der Dreiecksbildung werden die individuellen Fähigkeiten in dynamischen Spielsituationen verbessert beziehungsweise darauf angepasst.

  • ‘Square-Passing’

Square Passing

Beim sogenannten ‘Square-Passing’ sind insgesamt drei Spieler beteiligt, erneut nennen wir die Spieler A, B und C. Spieler A passt dabei Spieler B den Pass vertikal zu. Dieser lässt ihn ganz leicht in den eingeschlagenen Lauf von Spieler A abprallen. Spieler A nimmt den Ball im Vollsprint an und leitet ihn gleich weiter zu Spieler C. Dieser lässt den Ball erneut leicht in den Lauf von A abprallen. Spieler A läuft dann weiter zum vierten Eck des ‘Quadrats’, womit die Übung abgeschlossen ist; in richtigen Spielen wird der Spieler allerdings versuchen, den Ball in Richtung Tor zu führen und kein Quadrat beenden zu wollen.

Um für diese Übung ein Praxisbeispiel nennen zu können, haben wir einmal in den Archiven der Barca-Historie nachgeschaut und dieses Tor von Lionel Messi gegen Panathinaikos Athen in der Champions-League-Spielzeit 2010/11 herausgekramt (die Passkombination zwischen 1:08 und 1:15):

Hier lassen sich die theoretischen Instruktionen für diese Übung im Praxisbeispiel leicht ablesen. Messi passt den Ball direkt zu Xavi, der sofort abprallen lässt. Der Argentinier fackelt nicht lange, dribbelt kurz und passt das Spielgerät zu Pedro, der leicht nach innen zieht und den Ball auch abprallen lässt. Somit kann Messi den Ball im Vollsprint in die freie Gasse führen und das Tor erzielen.

  • ‘Rondo’

Schon so mancher Fan wird von dieser Übung gehört haben, vielen ist allerdings nicht bewusst, wie sehr der Output dieser Übung einem Spieler Barcelonas helfen kann. Während diese Übung in vielen Mannschaften Europas nur langsam Einzug fand, war es beim FC Barcelona schon längst in allen Jugendstufen nicht mehr wegzudenken. Das sogenannte ‘Rondo’, ins Deutsche übersetzt heißt es ‘Ballbeibehaltung’, ist die mit Abstand wichtigste Übung des FC Barcelona für a) das Kurzpassspiel der Katalanen in engen Zonen unter großem Druck des Gegners und b) die Ballbehauptung bei einem aggressiven Gegenpressing des Gegners. Das ‘Rondo’ besitzt einen derart hohen Stellenwert in der Trainingsgestaltung der Blaugrana, dass es eigentlich einen ganz eigenen Artikel mit all den dazu verbundenen Variationen verdient gehabt hätte.

„Rondo, Rondo, Rondo. Jeden einzelnen Tag. Es ist die beste Trainingsübung, die es gibt.“ – Xavi Hernández

Nachfolgend sind nun ein paar der häufigsten Übungsvariationen aufgelistet.

Einfaches ‘Rondo’

Das einfache Rondo ist die normale Ausführung des Rondos ohne jegliche Nebenaspekte, auf die wir später noch eingehen. Dabei positionieren sich drei oder auch vier Spieler in einem genau festgelegten Raum auf den äußeren Zonen dieses Bereiches. Im Zentrum dieses Raumes befinden sich ein oder zwei (je nach Anzahl der Spieler, die den Ball besitzen) Spieler, die dem Ball gewissermaßen “nachjagen” und versuchen, die Passstafette zwischen den äußeren Spielern zu unterbrechen. Wichtige Informationen beim Rondo: Die Mannschaft im Ballbesitz ist immer in einem nummerischem Vorteil, was zum einen die Intensität bei den verteidigenden Spielern erhöht und zum anderen die Situation bei der Überladung eines Raumes gut simuliert. Die folgende Grafik soll das veranschaulichen:

einfaches Rondo

In diesem Fall sind es vier Spieler, deren Bereich durch die Umrisslinien des Quadrats festgelegt ist. Der Spieler an der oberen linken Ecke ist im Ballbesitz und wird von seinem Gegenspieler bogenförmig angelaufen, sodass er nicht zum Spieler in der rechten oberen Ecke passen kann. Der zweite Gegenspieler hält sich derweil im Zentrum auf, versperrt somit von Anfang an den Passweg zum Spieler am unteren rechten Eck und tendiert zu einem Pass zum Spieler am unteren linken Eck des Quadrats. Nun ist für die Mannschaft im Ballbesitz Kreativität gefragt. Nur mittels eines One-Touch-Spiels, also der Weiterleitung des Balles mit einem Kontakt, kann die Ballbesitzmannschaft sich vom möglichen Zugriff des Gegners befreien und den Ballbesitz weiter aufrechterhalten.

Variationen des ‘Rondo’

Das Rondo lässt sich selbstverständlich variieren und mit allerlei zusätzlichen Aspekten füllen. Eine Variation ist beispielsweise das Etablieren eines Jokers im Spiel der Ballbesitzmannschaft. Die Anzahl der Spieler der ballführenden Mannschaft ist dabei gleich der Anzahl der Gegenspieler. Der Joker schreitet genau dann ein, wenn die Ballbesitzmannschaft kurz vor dem Ballverlust steht (hervorgerufen durch ein gutes Pressing der Gegenspieler). Je nach Situation können dann ein, zwei oder gar auch drei Spieler ins Spielgeschehen einschreiten und für Überzahl in der Zone sorgen.

Eine weitere Variante, die in der Zeit Guardiolas Dauergast in den täglichen Trainings war, ist die Unterteilung des Feldes in unterschiedliche Zonen. Bevor wir zu einer detaillierten Beschreibung kommen, folgt zuerst eine visuelle Veranschaulichung der Übung.

Zonen-Rondo

Dies ist nun ein ‘Zonen-Rondo’. Die Mannschaft in Ballbesitz hat in diesem Fall sechs, die verteidigende Mannschaft drei Spieler. Das begrenzte Feld ist in drei Zonen aufgeteilt, in denen sich immer zwei Spieler der Ballbesitz-Mannschaft befinden (diese Anzahl kann natürlich bei ungeraden Zahlen variieren). Den Spielern im Ballbesitz ist es erlaubt, ihre Zone kurzfristig zu verlassen und für Überzahl in den anderen Zonen zu sorgen, dies darf aber auf gar keinen Fall ein Dauerzustand sein. Die verteidigende Mannschaft versucht die Passwege zu anderen Mitspielern so gut es geht zu kappen, sollte allerdings auch in allen Zonen Spieler besitzen. Ziel dieser Übung ist es, den Ball in so vielen Zonen wie nur möglich bewegen zu lassen. Dabei wird höchste Priorität darauf gelegt, dass der Ball immer mit dem ballfernen Fuß angenommen und eine klare Passlinie gewählt wird, d.h., der Pass kommt ohne jegliches Risiko beim Mitspieler an. Sollte keine klare Passlinie vorhanden sein, so sollte man warten, bis sich eine ergibt und mit den individuellen Fähigkeiten versuchen, den Ball zu behaupten. Wird eine dieser zwei Maximen verletzt, so erfolgt eine Bestrafung für den Mitspieler, indem er den Platz mit einer Person der verteidigenden Mannschaft tauscht.

Die Sprache des Passes

Wir ziehen nun einmal einen Schlussstrich unter all den Übungen und widmen uns einem anderen essenziellen Aspekt in gruppentaktischen Spielzügen beziehungsweise den vorher genannten Übungen. Das ist nämlich das Verständnis der Spieler untereinander. Durch all diese Variationen werden regelmäßig neue Anforderungen und Facetten des spielerischen Könnens der katalanischen Mannschaft abverlangt. Dies geschieht von der ersten Stunde an bis hin zur ersten Mannschaft. Dadurch erlangt man ein sehr aussagekräftiges und vielschichtiges Bild von seinem Mitspieler, wie es ausführlicher kaum sein könnte.

„Weil wir für eine sehr lange Zeit miteinander spielen, weiß jeder, wohin er sich bewegen muss. Zu wissen, wo Xavi oder Leo [Messi] sein werden, macht meinen Job auf jeden Fall deutlich einfacher.“ – Andrés Iniesta

Besonders in einem Aspekt ist dieses blinde Verständnis fast schon beängstigend gut, nämlich im Passverhalten der Katalanen. So abstrus es sich anhören mag, aber alle Spieler auf dem Feld der Blaugrana kommunizieren durch die Art ihrer Pässe zueinander. Spielt beispielsweise Messi zu Iniesta einen sehr harten Ball, dann kann Iniesta erwarten, dass sich noch ein Mitspieler hinter ihm befindet und der Ball, aufgrund seiner Härte, zu ihm gelangen sollte. Des Weiteren ist auch der Fuß, auf den der Ball gespielt wird, immer eine wichtige Information für den Passempfänger, wenn die eigene Mannschaft auf engstem Raum spielt. So würde die Information für den Passempfänger, sollte der Ball schnell und hart seinen rechten Fuß treffen, in etwa lauten: „Links von dir steht jemand eng an dir positioniert, pass auf!“

 Sichtfeld Iniesta

Hoppla! Den Passmeister Xavi wird doch nicht etwa die Konzentration verlassen haben, da er einen schlampigen Pass auf seinen kongenialen Partner Iniesta spielt? Nichts da! Der Altmeister sieht den herannahenden Gegenspieler, der auf Iniesta zuläuft, sich aber außerhalb des Sichtfeldes des WM-Finaltorschützen befindet, und spielt einen Pass, der ihn zu einem Lauf vom sprintenden Gegner weg zwingt. Iniesta lässt sich darauf ein, schaut auf die andere Seite in die Richtung des Gegenspielers (da der Pass rechts von ihm gespielt wird, schaut er automatisch auf die andere Seite), sieht den entstandenen Raum hinter ihm und kann diesen nun ausnutzen. Sehr oft lassen sich derartige Passmuster im Spiel der Katalanen sehen. Vor allem die Information, auf welche Seite der Passempfänger blicken muss, ist durch einen Schulterblick auf die jeweilige Seite, bevor der Ball angenommen wird, zu erkennen.

„Der wichtigste Aspekt, wenn du einen Pass zu einem Mitspieler spielst, ist, dass er ihn in so einer Art und Weise erreicht, dass er keine Probleme in seiner nächsten Aktion besitzt. […] Ich denke darüber nach, ob sie links- oder rechtsfüßig sind, und passe dann auch dementsprechend, damit sie sich schnell fortbewegen können. Schlussendlich willst du einen Pass an den Mitspieler bringen, damit er sich ja nach vorne bewegt.“ – Xavi Hernández

Dies ist ein riesiger Vorteil, den die Jugend in La Masia besitzt. Durch die jahrelange Zusammenarbeit beziehungsweise das Training in der Jugendakademie können die Jungkicker ihre Mitspieler zu 100 Prozent kennenlernen und ihre Charakteristika im Passspiel, in den Bewegungsmustern und etc. erlernen. Damit wird allerdings nicht nur das Verständnis untereinander gefördert, sondern auch die Teameinheit und der Zusammenhalt. Durch den stetigen engen Kontakt auf engen Zonen und die Tatsache, dass man prinzipiell viel Zeit miteinander verbringen muss, werden die jungen Kicker von klein auf zusammengeschweißt und können mit der Zeit zunehmend Einheit auftreten, ein Faktor, der im Kurzpassspiel der Katalanen eine tragende Säule darstellt.

Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn

Mit diesem Aspekt haben wir auch schon eine weitere Fähigkeit, die in ‘La Masia’ über die gesamte Ausbildung angepriesen wird, angeschnitten, nämlich das ständige Wissen über den Zustand der räumlichen und personellen Situationen auf dem Feld. Xavi und Iniesta, die linke und rechte Hirnhälfte im Stil der Blaugrana, gehören diesbezüglich zu den Meistern ihres Faches, was die folgende Grafik am Beispiel Xavis beweist:

Khedira Trick

Eine Szene aus dem WM-Halbfinale 2010, Deutschland gegen Spanien. Nach einem missglückten Standard der Deutschen passt Piqué seinem Partner Xavi den Ball zu. Wichtig in diesem Zusammenhang zu wissen: Xavi besitzt die Information, welche Räume nun offen sind und welche besetzt, weil er sich während der Ausführung des Freistoßes in seinem Umfeld mehrere Male umgeblickt hat und nun ein genaues Bild des Spielfeldes in seinem Gedächtnis abgespeichert hat. Der Altmeister entscheidet sich schlussendlich dafür, den Raum von Sami Khedira, der durch das Aufrücken des Real-Madrid-Mittelfeldspielers entstanden ist, auszunutzen. Deswegen bewegt sich der Katalane zum Ball hin und lässt den Deutschen damit glauben, dass er Xavi von hinten attackieren könnte; schließlich besitzt der Mensch keine Augen am Hinterkopf und kann nicht wissen, was hinter ihm lauert.

Xavis Plan geht schlussendlich auf: Khedira läuft nicht in seinen Aktionsbereich zurück und mit einer schnellen Körperdrehung enteilt der damals 30-Jährige in diesen Raum hinein und kann einen schnellen Angriff einleiten. Diese Fähigkeit immer zu wissen, was um einen herum passiert, ist ein Faktor, den die katalanischen Trainer den Jungkickern immer aufs Neue nahelegen. Ohne eine stetige Aktualisierung der Spielsituation ist es nicht möglich, auf engstem Raum zu kombinieren und das Spiel strukturiert aufzuziehen.

Mit diesem Aspekt wollen wir nun die Trainingsmethoden in ‘La Masia’ abschließen. Es lassen sich noch viele weitere Übungen und Trainingsinhalte erklären und mit Grafiken veranschaulichen, wie etwa die 3-Sekunden-Regel beim Gegenpressing. Vielen wird nun die sogenannte 6-Sekunden-Regel Pep Guadiolas als erstes in den Sinn kommen, oder auch andere interessante Rondo-Arten. Insgesamt gesehen stellen die oben dargestellten Übungen aber einen relativ guten Überblick über das Training in den Jugendbereichen des FC Barcelona dar, was die Ballfokussierung im Spiel anbelangt. Wer aber mitgezählt hat, wird wissen, dass ein dritter Teil keine vierteilige Serie abschließen kann. Eine letzte und besondere Episode besitzen wir noch im Köcher, seid darauf gespannt.

Teil 1: Der FC Barcelona und La Masia: Barça und die Sache mit der Dominanz

Teil 2: Der FC Barcelona und La Masia: Wie Messi und Co. zu Weltstars wurden (1)

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