Jubiläum beim FC Barcelona: Xavis erstes Jahr im Rückblick

StartAnalysen & KommentareJubiläum beim FC Barcelona: Xavis erstes Jahr im Rückblick
- Anzeige -
- Anzeige -

Das erste Jahr für Xavi Hernández als Trainer des FC Barcelona hatte einige Höhen, aber auch Tiefen. Von einem ungemütlichen Anfang über herbe Niederlagen, haucht die Vereinsikone dem Klub mit einer erkennbaren Handschrift doch neues Leben ein. Ein Rückblick auf ein Jahr Barça unter Xavi.

Xavis Amtsübernahme war undankbar

In den frühen Morgenstunden des 6. November 2021 verbreitete sich die frohe Kunde rasch durch den ganzen Barcelonismo, als wäre der Heiland erschienen, der Erlöser, der den großen FC Barcelona aus der Tiefe wieder an die Spitze hieven werde. Die Nachricht über Xavis Amtsantritt als neuer Trainer des FC Barcelona sorgte für viel Applaus und noch mehr Hoffnung. Eben erst wurde eine andere Barça-Legende, Ronald Koeman, durch die Hintertür verabschiedet. Der Niederländer musste fast durchgehend eine sehr turbulente Zeit durchleben: der Verein war gebeutelt von einer institutionellen und wirtschaftlichen Krise, die am Ende die sportliche Ebene in eine große Schieflage brachte. Als Koeman entlassen wurde, rangierte Barcelona in der Liga auf dem mageren 9. Tabellenplatz, weit weg vom internationalen Geschäft. Das Zerwürfnis mit dem Vereinsvorstand war längst kein Geheimnis mehr. Koeman hatte all seine Unterstützer verloren und sportlich keine Argumente, noch weiterzumachen.

Der Barcelonismo sollte nun neue Hoffnung schöpfen, doch Xavi, in seiner Zeit als Spieler Kapitän der Katalanen gewesen, löste europaweit gemischte Gefühle aus: Einerseits begeisterte er die eigenen Fans als historische Referenz für den Verein, als Trainer, der sich für das lange nicht mehr gesehene “Tiki Taka” einsetzte und als Mann des Hauses, der die Vereinsphilosophie im Blut hat. Auf der anderen Seite stand jedoch seine Unerfahrenheit als Trainer – Xavi hatte außer dem katarischen Klub Al-Sadd keinen anderen Verein geleitet. Seitens der Vereinsführung bekam Xavi sehr viele Vorschusslorbeeren.

Der FC Barcelona stellt große Erwartungen

Xavi musste unverzüglich handeln, da er inmitten der Saison seine Arbeit aufnahm und somit weder auf eine Vorbereitungs-, noch eine Transferphase zurückgreifen konnte. Die Forderungen von Vereinen wie dem FC Barcelona gewähren jedoch kaum Probezeit: nach dem Aus in der Gruppenphase der Champions League (Xavi übernahm allerdings erst zum 5. Spieltag, als Barça bereits nur noch geringe Chancen auf ein Weiterkommen hatte) wurde der Gewinn der Europa League praktisch zur Pflicht. Die Katalanen besiegten den SSC Neapel (1:1, 4:2) und Galatasaray Istanbul (0:0, 2:1) mit Mühe, aber überraschenderweise konnte man Eintracht Frankfurt nicht schlagen (1:1, 2:3). Dieses Aus war ein herber Schlag für Xavi, der bereits mehrere Monate im Amt war und einige Verstärkungen im Winter erhalten hatte.

Dazwischen gab es zwei weitere Rückschläge. Zuerst verlor man in der spanischen Supercopa im Finale gegen Real Madrid (2:3 n.V.), dann schied Barça gegen Athletic Bilbao in der Copa del Rey aus (2:3 n.V.). In der Liga lieferte Xavi zumindest eine gute Schlussphase der Saison: die Katalanen kletterten von Platz 9 letztlich auf Platz 2, Barça wurde Vizemeister und sicherte sich einen Champions-League-Startplatz. Zeigte man insbesondere im Februar und März 2022 ansehnlichen wie auch erfolgreichen Fußball (Barça gewann u.a. 4:2 gegen Atlético Madrid, 4:1 gegen den FC Valencia und 4:0 gegen Athletic Bilbao, ehe man im Clásico Real Madrid mit 4:0 demontierte), häuften sich zum Saisonende wieder einige Unebenheiten und der so genannte “Xavi-Ball” – in spanischen Medien kursierte auch der Begriff Xavineta, sinngemäß “mit an Bord sein und an Xavis Projekt glauben” – begann für einige Menschen, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die unvollständige Saison 2021/2022 könnte jedoch als Akklimatisierungsphase angesehen werden, sozusagen um in dieser Saison ein erfolgreiches Barça wiederzubeleben.

Die berühmten Hebel oder: Laporta nimmt für Xavi viel Geld in die Hand

Während des Transfersommers 2022 widmeten sich Joan Laporta und sein Vorstand dem Verkauf von Vereinsvermögen über die viel zitierten Hebel, um Geld zu erhalten, womit der Kader erneuert werden sollte. Bekam Xavi in der vorherigen Winterpause bereits Dani Alves, Ferran Torres, Pierre-Emerick Aubameyang und Adama Traoré zur Rettung der Saison; nun wurde die Profimannschaft im Sommer um Raphinha, Franck Kessie, Andreas Christensen, Jules Koundé, Héctor Bellerín, Marcos Alonso und Robert Lewandowski erweitert. Ferner bekam Ousmane Dembélé einen neuen Vertrag. Luxuriöse Verstärkungen, von denen einige teuer gekauft wurden, um einen Kader zu schaffen, der mindestens um La Liga, am liebsten natürlich um die Champions League kämpfen soll. Im Wintertransferfenster 2021/2022 und im Sommertransferfenster 2022 wurden insgesamt über 200 Millionen Euro ausgegeben.

Doch kürzlich hat die Realität Xavi Hernández erneut bitter erwischt. Das erneute Ausscheiden in der Champions-League-Gruppenphase ist aus mehreren Gründen eine Katastrophe. Erstens eine wirtschaftliche, denn nachdem man sich so viel Mühe gegeben und mindestens das Viertelfinale eingeplant hat, wird dies ein beträchtliches Loch im Geldbeutel hinterlassen. Zweitens eine sportliche, denn ein solches Aus im zweiten Jahr in Folge, jetzt mit einem derart aufgepumpten Kader, kratzt am Prestige und Ansehen. Das Barça unter Xavi konnte noch keine der ganz großen Mannschaften schlagen – sieht man vom Clásico der vergangenen Saison ab. Xavi verlor im diesjährigen Clásico gegen Real Madrid (1:3), verlor in beiden Spielen gegen Bayern München (0:2, 0:3) und konnte auch gegen Inter Mailand nicht wie geplant gewinnen (0:1, 3:3). Besonders scharfe Kritiker behaupten, jeder andere Trainer wäre bereits wieder entlassen worden. Doch die Vereinsführung um Joan Laporta steht geschlossen hinter Xavi und wird wissen: ein Champion entsteht nicht über Nacht. Es benötigt Zeit, um eine Mannschaft im Sinne eines neues Trainers aufzubauen.

2022/2023: FC Barcelona führt La Liga an – und überzeugt statistisch

Das Gute, was Xavi Hernández im Moment vorzeigen kann, ist, dass er Barça zur führenden Mannschaft in der heimischen Liga gemacht hat. So gut waren die Katalanen im regulären Wettbewerb schon lange nicht mehr positioniert: Zur Saisonpause (aufgrund der Weltmeisterschaft in Katar) hat man lediglich ein Spiel verloren und ein Unentschieden kassiert.

Die Zahlen sprechen dabei für sich. Barça hat in La Liga: Die meisten Punkte geholt, die meisten Tore geschossen, die wenigen Tore kassiert – und dabei elfmal zu Null gespielt, den höchsten Ballbesitz (65 Prozent), die meisten Großchancen kreiert (38), Robert Lewandowski führt die Torschützenliste an, Ousmane Dembélé hat hinter Real Sociedads Mikel Merino (6) die zweitmeisten Torvorlagen (5). Europaweit stellt der FC Barcelona mit 33 Toren die fünftbeste Offensive hinter Bayern München (47), Manchester City (39), Paris Saint-Germain (38) und dem SSC Neapel (34). Nur fünf Gegentore in 14 Spielen, respektive ein zugelassener xG-Wert (xG steht für “Expected Goals”, zu deutsch: zu erwartende Tore) von 10,0 ist europaweit in den Top 4 Ligen Spitze. (Zum Vergleich: Von den Tabellenführern in England, Deutschland, Italien und Frankreich hat ManCity den gleichen xG conceded Wert von 10,0 wie Barça, Bayern München hat 14,1, PSG 14,3, die SSC Napoli 12,9. Nur die AS Roma von José Mourinho hat mit 9,7 einen niedrigeren Wert, allerdings dafür 13 Gegentore kassiert. Zahlen via Fotmob.com).

Allein diese Zahl spricht Bände darüber, dass das Team weiß, wie es das eigene Tor abschirmt. Die Anzahl Pressings in Beziehung zu Pässen des Gegners, PPDA (Passes Per Defensive Action) genannt, ist mit 6,82 ebenfalls die niedrigste und damit das bestmögliche Ergebnis in Spanien: Dem Gegner werden im Schnitt nur etwas mehr als sechs Pässe erlaubt, bis es zu einer Defensivaktion kommt. Hieran lässt sich Xavis Philosophie messen und man kann festhalten: Er ist angekommen und hat dem Spiel seiner Mannschaft bereits seinen Stempel aufgedrückt.

Neben diesen herausragenden Zahlen hat sich Xavi in seinem ersten Jahr auch durch mutige Entscheidungen hervorgetan. Sein Wort ist bei den Neuverpflichtungen entscheidend und er ist jahrelang gärende Probleme, wie die längst überfällige Verjüngung des Kaders, diplomatisch angegangen. Der Abgang von Gerard Piqué, dem im Sommer mitgeteilt wurde, dass er kaum spielen werde – was zu seinem Rücktritt geführt hat – ist eine Folge seines Mutes, Verantwortung zu übernehmen. Xavi scheute sich nicht davor, alte Weggefährten wie den Innenverteidiger, aber auch Jordi Alba und Sergio Busquets auf die Bank zu setzen und der nächsten Generation den Vortritt zu lassen. Unter Xavi gehören Alex Balde, Pedri (beide 19 Jahre alt), Gavi (18) und Ronald Araújo (23) zum Stammpersonal, mit Iñaki Peña, Ilias, Casadó, Pablo Torre, Álvaro Sanz, Estanis, Mika Mármol und zuletzt, beim 2:1-Sieg über CA Osasuna, Chadi Riad haben bereits acht Nachwuchsspieler debütiert.

Die Vorzeichen stimmen und die stürmische See, durch die der FC Barcelona sportlich und wirtschaftlich lange segeln musste, ist wieder ruhiger geworden. All dies zeigt auf, dass der FC Barcelona unter Xavi, dessen Geburtsort Terrassa keine 30 Kilometer vom Camp Nou entfernt liegt, auf dem richtigen Wege ist, wieder eine schlagkräftige Mannschaft aufzubauen, die auch um Titel mitspielen kann. Diesen Trend muss das Team unter dem 42-jährigen Hoffnungsträger dann aber auch nach der WM-Pause untermauern. In diese geht man bereits als Tabellenführer. Auch das macht Hoffnung. Die Hoffnung, dass Xavi mit seinem FC Barcelona am Ende der Saison nach dem ersten großen Titel greifen kann: dem Liga-Titel.

Clemens Wustmann
Clemens Wustmann
Blaugrana im Herzen seit 2001
- Anzeige -

8 Kommentare

  1. Vielen Dank für den tollen Artikel, liebes Barçawelt! An dieser Stelle kann man euch auch mal wieder für euren tollen Einsatz und Arbeit loben und bedanken. Danke, dass es durch euch möglich ist, dass man sich als Barça Fan auf einer deutschsprachigen Seite mit anderen Usern unterhalten und diskutieren kann.

    Ich hätte aber eine Bitte: Es wäre echt toll, wenn man seine eigenen Kommentare bearbeiten könnte. Das konnte man vor der ”Renovierung” der Seite ja auch. Seither aber nicht mehr. Das ist sicherlich eine Kleinigkeit für euch, also bitte schaut, dass man hier in Zukunft seine Kommentare bearbeiten kann.
    Eine weitere Bitte von mir ist, dass ihr hier bei gewissen Usern härter durchgreift. Ich fordere nicht, dass ihr User gleich sperrt, wenn sie den Verein mal kritisieren, denn das ist genauso legitim, wie wenn man den Verein mal lobt. Aber es gibt einen Unterschied zwischen kritisieren und das was bestimmte User tun. Es kann nicht sein, dass diese User immer dann auftauchen, wenn der Verein mal patzt oder eine schwere Zeit durchmacht und hier eine schlechte Stimmung verbreiten und alle User angehen, die das mal nicht so kritisch sehen oder generell anders. Das müsste für euch zu bewerkstelligen sein, denn wenn ein User hier mal mit vulgären Wörtern ankommt, seit ihr auch sofort da und bittet, dass wir uns an eure Netiquetten halten sollen.

  2. Jetzt zum Artikel:

    Ich gehöre ganz klar zu den Fans, die an Xavi und das Projekt glauben. Und ich finde, unter Xavi geht es sportlich definitiv wieder bergauf. Er kam mitten in der Saison und übernahm eine absolut mittelmäßige Mannschaft. Ich habe mir mal die Highlights zum Auswärtsspiel gegen Mallorca von letzter Saison angesehen und war schockiert, welche Startelf wir da aufboten. Das war wirklich höchstens Mittelmaß. Aber diese Mannschaft hob Xavi vom Platz 9 auf Platz 2! Hier wird dann gerne erwähnt, dass Barça ja im Januar nachgerüstet hätte in dem sie Ferran und Adama geholt haben. Das mag sein, aber hier wird so getan, als wären das Messi und CR7 gewesen die Barça da geholt hat. Beide waren wichtig für die Breite, aber es war Xavis Verdienst diese Mannschaft auf Platz 2 zu führen. Es gab unter ihm auch sehr viele überragende Spiele. Um mal einige zu erwähnen; der Auswärtssieg in Neapal, der 4:2 Sieg gegen Atlético und natürlich das 0:4 gegen Real. Auch diese Saison hat man sich in einigen Spielen stark präsentiert. Hier kann man trotz der Niederlage auch das Spiel in München hervorheben.
    Xavi hat erst seit Sommer eine ernst zu nehmende Mannschaft und mit dieser arbeitet er gerade mal seit wenigen Monaten zusammen. Wie kann man da bitte schon Wunderdinge erwarten. Das CL-Aus war ganz klar eine Enttäuschung und nicht akzeptabel. Egal wie wenig Zeit Xavi hatte, egal welch eine schwere Gruppe wir erwischt haben und egal wie oft wir benachteiligt worden sind, dieses Aus hätte nicht passieren dürfen, hat es aber und wir müssen das jetzt so hinnehmen. Wir dürfen deswegen doch nicht alles über den Haufen werfen und Xavis Rücktritt fordern und generell am ganzen Projekt zweifeln. Es geht weiterhin in die richtige Richtung. Als Xavi übernahm, hatten viele prophezeit, er würde seine Lieblinge haben und gerade seine Ex-Teamkollegen Pique, Busquets, Alba und Roberto bevorzugen. Er hat genau das Gegenteil bewiesen. Er hat bis auf Busquets alle ausortiert und durch jüngere ersetzt und somit sehr viel Mut gezeigt.
    Wir haben eine junge und aufregende Gruppe: Pedri, Gavi, Balde, Kounde, Araujo, Fati, Ferran gepaart mit viel erfahrenen Spieler wie Lewa, De Jong, Raphinha, Dembele und Christensen.

    Mit diesem Kader und dieser Breite die wir da haben, traue ich uns den Meistertitel absolut zu. Und mit Araujo, Kounde und Christensen im Rücken und mit Lewa vorne, sehe ich uns auch auf den Europa League-Titel als den top Favoriten an.

  3. danke für diese tolle zusammenfassung des ersten jahres mit xavi als trainer.

    ich persönlich drück ihm den daumen und hoffe das beste (01. weil ich versuche kein missgünstiger mensch zu sein, der die misserfolge anderer “prophezeit”, um sich selbst gut zu fühlen, und 02. weil, why not?!) für seine idee, bin allerdings auch nicht ganz überzeugt von ihm als trainer. da fehlen mir heut und dort etwas unberechenbarkeit bei den in-games-strategien, die er noch nicht bringt, im speziellen in spielen gegen grösseren teams. ich hoff die kommt auch mit der zeit und seiner erfahrung als barca-trainer.

- Anzeige -
- Anzeige -

AKTUELLE USER-KOMMENTARE